Nichts ist überwunden – die Unterdrückung geht genauso weiter wie vorher

Wieder einmal erheben wir unsere Stimme, um auf die Ereignisse aufmerksam zu machen, die die Bevölkerung unseres Umfelds und unsere Friedensgemeinde dauerhaft bedrohen.

Es beginnt ein weiteres Jahr, von dem wir gehofft hatten, dass sich in ihm neue Wege zum Leben und zum Frieden auftun würden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Der Bevölkerung wird gesagt, die alten Herrschaftsverhältnisse seien nun überwunden. (Gemeint ist die Politik des „totalen Friedens“, die der linke Präsident Gustavo Petro angekündigt hat, Anm. d. Ü.) Aber in den wenigen Tagen, die das neue Jahr alt ist, hat sich schon gezeigt, dass eigentlich alles so wie bisher weitergeht. Es sind dieselben wie vorher, die das Sagen haben, die die Bevölkerung kontrollieren, die ihr Regeln aufzwingen, die in die Gemeinden eindringen, die die Zivilbevölkerung zusammentreiben, die weiterhin drohen und morden. Und die kolumbianische Regierung ist angesichts all dessen weiterhin blind und taub.

Folgende Fakten müssen wir berichten:

Am Samstag, 2. Dezember, wurde tagsüber eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform gesehen, die sich im Dorf Mulatos den Fluss entlang bewegte.

Am Sonntag, 3. Dezember, wurde unsere Friedensgemeinde darüber informiert, dass unter anderem in den Dörfern El Mariano, Buenos Aires und La Linda die Armee nachts patrouilliert. Wonach sie suchte, ist unklar. Auszuschließen ist, dass sie hinter den paramilitärischen Gruppen her war, denn die kontrollieren die Gegend nach wie vor in aller Ruhe, ohne dass sie jemand belästigt.

Am Dienstag, 5. Dezember, sagten Ortsansässige, in den Dörfern von San José de Apartadó errichteten die Paramilitärs Wachposten. Einer davon, den alle Vorbeifahrenden wahrnehmen, wird an dem als Chontalito bekannten Punkt gebaut.

Gemeinde Tierralta im Departamento Córdoba gehört (Córdoba schließt sich östlich an Antipoquia an, dem Departamento, in dem San José liegt, Anm. d. Ü.). Dort arbeiten seit kurzem Armee und Paramilitärs eng zusammen, was sich in gewaltsamem Vorgehen gegen die bäuerliche Bevölkerung niederschlug und was nach den Klagen der Betroffenen mittlerweile nationalen und internationalen Widerhall gefunden hat.

Wir wiederum können den Anschlag vom Dezember 2017 nicht vergessen, als fünf bewaffnete Paramilitärs auf Motorrädern ankamen und unsere gesetzlichen Vertreter Germán Graciano und José Roviro López sowie andere Mitglieder des Internen Rates töten wollten. Auch wenn die beiden nach wie vor Todesdrohungen erhalten, konnten wir damals Schlimmeres verhindern. Wir stellten die Angreifer, zwei hielten wir fest und übergaben sie den Behörden, während die anderen flohen und in das Dörfchen San José

Am Freitag, 8. Dezember, wurde nachmittags eine Gruppe Paramilitärs in Tarnuniform an der als „La Cañada de Pulgarín“ bekannten Stelle im Dorf Mulatos gesichtet.

Am Dienstag, 12. Dezember, wurden wir von Menschen, die gezwungen sind, direkt unter den Paramilitärs zu leben, darüber informiert, dass die Paras entschieden hätten, zwei Mitglieder des Internen Rates unserer Gemeinde zu eliminieren. Einer von ihnen ist unser gesetzlicher Vertreter und der andere der Koordinator unserer Siedlung im Dorf La Resbalosa. Ein großer Teil des Territoriums von La Resbalosa gehört zur zurückkehrten, wo sie bis heute leben und weiterhin mit Polizei und Militär freundschaftlichen Umgang haben. Wir möchten daran erinnern, dass in dieser Episode die Zusammenarbeit der öffentlichen Gewalt und des gesamten Justizapparats mit den Paramilitärs absolut offensichtlich wurde. Bis heute hat die sogenannte Justiz den Fall noch nicht untersucht. Die Beschuldigten sind in Freiheit.

Am Dienstag, 12. Dezember, erfuhren wir vom Tod des jungen Eimer Emilio Gómez David, der in den vergangenen Tagen verschwunden war und dann mit Anzeichen grausamer Folter tot aufgefunden wurde. Gómez David, gebürtig aus San José, war Mitglied unserer Friedensgemeinde, ebenso wie seine Familie, die sich allerdings vor einiger Zeit zurückgezogen hatte. Wir verurteilen aufs Schärfste, dass auf unserem Territorium solche brutalen und unmenschlichen Praktiken vorkommen, die typisch für Völker sind, denen es an der grundlegendsten menschlichen Sensibilität mangelt. Wir sprechen seiner Familie unser tiefstes Beileid aus.

Zwischen dem 18. und 21. Dezember besuchten Vertreter unserer Friedensgemeinde mehrere Dörfer in der Umgebung von San José de Apartadó, darunter Mulatos und Resbalosa, um auf Morddrohungen gegen Bewohner der Region und gegen Mitglieder unseres Internen Rates öffentlich aufmerksam zu machen. Während der Tour konnten wir die starke Präsenz und territoriale Kontrolle der Paramilitärs in der Gegend sowie die unterschiedlichen Bauweisen paramilitärischer Wachposten sehen, wie zum Beispiel den Standort Chontalito, wo die Paramilitärs seit 2018 sitzen, und ähnliche Posten. Es ist schon unglaublich, wie beharrlich sich das angeblich überwundene Herrschaftssystem der Paramilitärs behauptet und wie unbeeinträchtigt die Möglichkeiten der Paramilitärs sind, die Autonomie der Zivilbevölkerung zunichtezumachen. Am Donnerstag, 4. Januar, bat Ovídio Torres Areiza uns dringend um Schutz, nachdem er und seine Familie von den Paras mit dem Tod bedroht worden waren. Wir können allerdings nicht vergessen, (…) dass Ovidio 2006, als er sich uns angeblich anschließen wollte, uns offenbar im Auftrag von Militär und Paramilitärs einen Computer gestohlen hat. Die Armee hatte ihn dazu angestiftet, weil sie sich auf dem Gerät Hinweise auf Zusammenarbeit zwischen der Guerrilla und uns erhoffte; Zeugen zufolge soll das Militär „enttäuscht“ gewesen sein, als natürlich nichts zu finden war. – Ovidio gibt jetzt zwar zu, jahrelang für die Paras gearbeitet zu haben, sagt aber, er habe sich von ihnen längst abgewandt, und deswegen bedrohten sie ihn nun genauso wie seinen ältesten Sohn, den sie sogar gefangen und gefoltert hätten, um den Aufenthaltsort von Ovidio zu erfahren.  Unsere Gemeinschaft folgt einem ihrer Grundprinzipien, nämlich der Verteidigung des Lebens eines jeden Menschen, auch wenn der anders denkt als wir. Wir haben uns deshalb bereit erklärt, Ovidio zu schützen, bis er mit Hilfe humanitärer Organisationen das Gebiet verlassen könne – und so ist es mittlerweile geschehen.

Am Samstag, 6. Januar, zwangen in der Gegend bekannte Paramilitärs (es folgen die Klar- und Aliasnamen von dreien, Anm. d. Ü.) die Bewohner des Dorfes La Unión zu einer Versammlung auf dem Dorfplatz, wo sie alle ihre Mobiltelefone abgeben mussten. Der von Drohungen begleitete Befehl der Paramilitärs lautete, dass sich alle der Junta de Acción Comunal anschließen müssten, was beweist, dass die Paras die Junta als Kontrollinstrument nutzen können (die Juntas de Acción Comunal sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsräte auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den jeweils Mächtigen kooptiert sind, Anm. d. Ü.). Bei der Versammlung gaben sie wirre und widersprüchliche Anweisungen zur Lösung von Landkonflikten, ein Bereich, für den sowieso ausschließlich die Justiz zuständig ist, deren Befugnisse sie sich anmaßten. – Die Versammlung fand in unmittelbarer Nähe des Militärs statt, was erneut beweist, wie eng Armee und Paras zusammenarbeiten.

Am Montag, 8. Januar, war sehr früh eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten im Zentrum von La Unión unterwegs und befragte die Zivilbevölkerung nach Informationen über die Paramilitärs. Dabei wissen Militär und Polizei sehr gut, wo sich die Paramilitärs aufhalten. Durch solche Befragungen wird die Zivilbevölkerung in einen gewaltsamen Konflikt einbezogen, an dem sie keinen Anteil hat.

Unsere Friedensgemeinschaft verurteilt jede Handlung, die das Leben oder die Integrität eines Menschen bedroht. Die Regierung in Bogotá ist am Ende dafür verantwortlich, wenn den Mitgliedern unserer Gemeinschaft und den Bewohnern der Region etwas zustößt. Denn der Paramilitarismus kann weiterhin frei schalten und walten.

Als Friedensgemeinde kräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze. Wir danken allen Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, die uns weiterhin mit ihrer moralischen Stärke unterstützen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
8. Januar 2024

Die Regierung will angeblich etwas ändern, dennoch sind die Paramilitärs außer Kontrolle

Einmal mehr erheben wir unsere Stimme, um auf die Tatsachen aufmerksam zu machen, die unsere Friedensgemeinde und die Bevölkerung unseres geografischen und sozialen Umfelds ständig bedrohen.
Wir befinden uns gefangen in einer Welt, in der nur die Macht gilt. Die will ihre Ziele erreichen, und da spielt es keine Rolle, wer unter ihr leidet.

Die Regierung in Bogotá sagt, es gelinge ihr, mit den illegalen bewaffneten Gruppen zu verhandeln und so das Leben der Zivilbevölkerung in den Dörfern und Weilern des Landes zu sichern. Aber das sind nur Nachrichten in den Medien. In der Realität hat sich für die Bauern des Landes nichts geändert, denn in den Gebieten, die von den legalen oder illegalen bewaffneten Akteuren kontrolliert werden, ist das Leben noch schwieriger geworden. Auch in Gebieten wie San José de Apartadó kontrolliert und bestimmt der Paramilitarismus, wie sich die Bauern bewegen dürfen und arbeiten müssen.

In Urabá ist die Regierung des Wandels noch nicht angekommen, geschweige denn, dass sie die 17. Heeresbrigade selbst gründlich überprüft und gesäubert hätte, denn innerhalb dieser Brigade und der ihr unterstellten Einheiten herrscht ein hohes Maß an Komplizenschaft mit dem Paramilitarismus, wie die Ereignisse vom 12. September 2023 zeigen, als Soldaten und vermummte Paramilitärs gemeinsam die Zivilbevölkerung von Urabá einschüchterten.

Auch in den Dörfern von San José de Apartadó gibt es eine hohe Präsenz von Paramilitärs, die sich offen mit Uniformen und AGC-Abzeichen bewegen, schwer bewaffnet sind und sich unter dem vollen Schutz des Militärs und der Justiz bewegen.

(Anm. d. Ü.: AGC steht für Autodefensas Gaitanistas de Colombia, auch Clan del Golfo, Clan Úsuga oder Los Urabeños genannt. Die Gruppe gilt als das mächtigste Verbrechersyndikat Kolumbiens. Aus rechtsgerichteten Paramilitärs nach der Demobilisierung hervorgegangen, arbeitet die Gruppe mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammen und ist gegenwärtig für die Hälfte des kolumbianischen Kokain-Exports verantwortlich. Der Golf-Clan benutzt als operative Basis die schwer zugängliche nordwestkolumbianische Subregion Urabá – daher auch der Name „Los Urabeños“. Die Bande ist vor allem in den Drogenschmuggel, illegalen Bergbau und der Schutzgelderpressung verwickelt. Zudem sind sie für zahlreiche Morde und Vertreibungen verantwortlich. Anfang 2023 schloss die Regierung unter Präsident Gustavo Petro einen Waffenstillstand mit dem Clan del Golfo, den sie nach kurzer Zeit am 19. März 2023 wieder kündigte. Grund war laut Petro ein Angriff auf Polizeikräfte durch den Clan.)

Das Schlimmste ist, dass die Paras die Zivilbevölkerung kontrollieren und zwingen, sie in ihren Dörfern und auf ihren Privatgrundstücken zu akzeptieren. Niemand kann etwas sagen oder anprangern aus Angst, getötet oder aus der Region vertrieben zu werden, wie es einigen Einwohnern ergangen ist, die weit weggehen mussten, um nicht getötet zu werden.

Hier die Ereignisse der letzten Wochen:

Am Sonntag, den 24. September, wurde in den Morgenstunden im Dorf Mulatos Medio ein Trupp Paramilitärs gesehen, der sich entlang des Flusses bewegte. Nach Angaben der Dorfbewohner waren die Männer schwer bewaffnet, getarnt und trugen Armbinden mit dem Abzeichen AGC.
Am selben Tag erfuhr unsere Friedensgemeinde, dass das paramilitärische Kommando in der Region von den Dörfern Resbalosa zum Dorf Frasquillo in der Gemeinde Tierralta Córdoba gewechselt hat. Gerüchteweise heißt es, das neue Kommando habe die Ermordung von Menschen ankündigt, um alle, die sich ihren Plänen nicht unterwerfen, aus der Gegend zu vertreiben.

Am Montag, den 25. September, erfuhr unsere Friedensgemeinde von einer Morddrohung gegen einen Bewohner des Dorfes San José de Apartadó durch die Paramilitärs, die dieses Gebiet kontrollieren. Um sein Leben zu schützen, zog es dieser Bewohner vor, aus dem Gebiet zu fliehen.

Am Dienstag, den 26. September, wurden gegen 20 Uhr Hubschrauberüberflüge in den Dörfern Resbalosa und Mulatos registriert.

Am Samstag, den 7. Oktober, wurde eine starke paramilitärische Präsenz an der Schule von Resbalosa festgestellt. Am selben Tag betraten einige der Paramilitärs unbefugt ein Privatgrundstück, das der Friedensgemeinde gehört.
Am selben Tag wurden wir vor der starken Präsenz einer Gruppe schwer bewaffneter Paramilitärs gewarnt, die auf einem Grundstück im Weiler Mulatos im Bezirk San José de Apartadó lagerten.

Am Samstag, den 4. November, wurde eine starke Präsenz von Paramilitärs in Uniform und mit Langwaffen beobachtet, die sich durch das Dorf Resbalosa bewegten und dann in Richtung Mulatos gingen.

Am Sonntag, den 5. November, wurde erneut eine starke Präsenz schwer bewaffneter Paramilitärs zwischen Mulatos und Resbalosa festgestellt. (….)

Am Dienstag, den 7. November, drangen zwei Paramilitärs in eines der Grundstücke ein, das der Friedensgemeinde gehört. (…)
Am selben Tag wurden in den Abendstunden in der Gegend von Baltazar, einem Ort östlich des Dorfes La Resbalosa, mehrere Schüsse aus Langwaffen abgefeuert. Die Motive oder das Schicksal der Zivilbevölkerung waren zunächst unbekannt.

Am Mittwoch, den 8. November, erfuhren wir, dass die Paramilitärs einem Bewohner eines der Dörfer von San José de Apartadó gedroht hatten, ihn zu töten, sollte er in das Dorf zurückkehren, in dem er seit langem lebt.
Am selben Tag riefen die Paramilitärs die Bewohner des Dorfes Resbalosa zu einer Versammlung in der Schule auf. Den Informationen zufolge kamen die paramilitärischen Kommandanten, die die Versammlung leiteten, aus dem Dorf Nuevo Antioquia in der Gemeinde Turbo. Bei dieser Versammlung unterstrichen sie die von ihnen auferlegten Verhaltensvorschriften für die Bewohner. Jeder, der sich nicht daranhalte, müsse das Dorf verlassen oder sterben.
Ebenfalls an diesem Mittwoch bemerkten wir abends Armeeangehörige, die sich Motorrädern in Richtung San José de Apartadó bewegte. Anscheinend führen sie diese Art von Ausfällen spät in der Nacht durch. Worum es dabei geht, ist unklar. Aber es ist sehr verdächtig, wenn man bedenkt, dass der Sektor eigentlich von den Paramilitärs kontrolliert wird.

Am Donnerstag, den 9. November, brach in den Morgenstunden ein Paramilitär mit zwei Funkgeräten und einem Mobiltelefon in unser Privatgrundstück La Cabaña im Dorf La Resbalosa ein. Die internationale Begleitung unserer Gemeinde, die dort präsent ist, forderte den Eindringling sofort auf, das Gelände zu verlassen. Dieser Paramilitär widersetzte sich und zog erst einige Zeit später mit Gesten ab, die besagten, dass ihn das alles nichts angehe.

Am Freitag, den 10. November, wurde unsere Friedensgemeinde auf die Anwesenheit einer Gruppe von getarnten und schwer bewaffneten Paramilitärs an einem Ort aufmerksam, der als Pulgarín-Schlucht im Weiler Mulatos Medio von San José de Apartadó bekannt ist. Am selben Tag bemerkten wir morgens die Anwesenheit einer Gruppe von Soldaten, die illegal unser Privatgrundstück La Holandecita betreten hatten, auf dem sich unsere Siedlung San Josesito befindet.

Am Samstag, den 11. November, teilte uns ein Bewohner des Dorfes San José mit, dass die Paramilitärs mehreren Landwirten in einigen Dörfern von San José de Apartadó und Tierralta Córdoba ihre Bauernhöfe weggenommen haben. Die Paras hatten befohlen, die Bauern dürften keine Flächen für den Anbau von Grundnahrungsmitteln roden, und daran hatten sich die Bauern nicht gehalten. (…)

Am Dienstag, den 14. November, erfuhr unsere Gemeinschaft vom Tod eines Zivilisten in Murmullo, Tierralta, der unter dem Namen „El Paisa“ bekannt war. Paramilitärs hatten mehrere Kugeln auf ihn abgegeben.

Am Freitag, den 17. November, drangen gegen 16 Uhr fünf berittene Paramilitärs auf unser Privatgrundstück La Cabaña in der Ortschaft La Resbalosa ein, wo am 21. Februar 2005 das Massaker von Paramilitärs und der nationalen Armee verübt wurde. Die fünf Männer waren bewaffnet und hatten Funkgeräte dabei.

Am Montag, den 20. November, wurde unsere Gemeinde von einem Mann angerufen, der sich als Mitglied des Bauunternehmens Cooperativa de Trabajo Asociado Policonstructores vorstellte und sagte, dass er eine Lizenz für die Ausbeutung von Baumaterial aus dem Apartadó-Fluss besitze. Wenn sich die Gemeinde nicht mit ihm an einen Tisch setze, werde ein anderes Unternehmen kommen und die Dinge in die Hand nehmen. Unserer Ansicht nach ist das Ökosystem durch eine derartige Ausbeutung gefährdet.

Am Mittwoch, den 22. November, wurde gegen Mittag ein junger Mann in der Nähe des Weilers La Balsa an der Straße von San José nach Apartado von zwei Männern erschossen. Dies geschah, während wenige Minuten später eine Polizeikontrolle an der Ausfahrt von Apartadó nach San José eingerichtet wurde. Wie konnte es sein, dass die Paramilitärs zur gleichen Zeit zu der eine Polizeikontrolle eingerichtet wurde, einen neuen Mord begingen? Wie auch immer, klar ist, dass die Paramilitärs alles unter Kontrolle haben.
In den vergangenen Wochen haben die Paramilitärs ihre Regeln und Befehle angepasst und genauer gefasst. Sie haben den Händlern in San José de Apartadó eine illegale Kriegssteuer auferlegt, sie haben dem Fleischhandel genaue Anweisungen gegeben, sie überwachen und kontrollieren ihn ständig, und wer versucht, die Unterordnung zu brechen, muss die Konsequenzen tragen. Diese kriminellen Praktiken und die paramilitärische Kontrolle über den Handel und andere Aktivitäten in San José de Apartadó finden trotz einer starken Militär- und Polizeipräsenz statt, die jedoch angesichts der unkontrollierten Paramilitärs und einer Regierung, die angeblich den Wandel herbeiführen will, absolut nichts unternehmen.

Auch anderswo sind Menschen ist mörderischen menschlichen Maschinen ausgeliefert. In Israel werden Hunderte von wehrlosen Menschen getötet – aber gleichzeitig hat das, was in Gaza geschieht, längst die Grenzen zur Grausamkeit überschritten. Genug von dieser Barbarei, genug ist genug.

Unsere Friedensgemeinde verurteilt offen jede Aktion, die sich gegen das Leben oder die Unversehrtheit eines Menschen richtet, und gleichzeitig bekräftigen wir unsere ethischen und moralischen Grundsätze, um inmitten des Todes weiterhin Räume des Lebens zu schaffen.

Wir danken allen, die uns moralisch unterstützen, wo auch immer auf der Erde sie seien.

Friedensgemeinde San José de Apartadó,
30. November 2023

Wir leiden unter einem Staat, der unser Überleben nicht garantiert, sondern aufs Spiel setzt

Wieder einmal wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Geschichte und an die Welt, um über Tatsachen zu berichten, die sich in der letzten Zeit massiv gegen unsere Zivilbevölkerung und gegen unser Lebensprojekt richtet.

Zunächst soll es um die Planungen der Landrückgabeeinheit (URT) gehen.

(Die Sonderverwaltungseinheit für die Verwaltung der Rückgabe von enteignetem Land (VAE-GRTD) oder einfach die Einheit für die Rückgabe von Land (URT) von Kolumbien ist eine Institution, die im Januar 2012 durch das Gesetz 1448 von 2011, allgemein bekannt als Gesetz über Opfer und Landrückgabe, geschaffen wurde, um die rechtliche und materielle Rückgabe von Land zu erreichen, das im Rahmen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien enteignet wurde. Wikipedia/d. Ü.)

Die offiziellen oder inoffiziellen Erklärungen der zuständigen Beamten untergraben die Integrität der Verfahren auf administrativer und rechtlicher Ebene, indem sie den demokratischen Entscheidungsprozess umgehen. … Die URT-Funktionäre haben eine heftige Verfolgung gegen uns und unseren Besitz ausgelöst, den wir friedlich, frei, öffentlich und unter strikter Einhaltung der Verfassung und des Gesetzes erworben haben. Wir haben die Auseinandersetzung aufgenommen und auf diese Weise die Rechtmäßigkeit unserer Erwerbungen nachweisen können …

Die aktuellen Vorkommnisse der letzten Wochen, die wir hier zu eurer aller Information festhalten, sind die folgenden:

Am Dienstag, 1. August 2023 wurde ein weiterer militärischer Kontrollpunkt in der Nähe vom Stadtgebiet San José eingerichtet. Diese Kontrollpunkte und angeblichen Militär- und Polizeikontrollpunkte haben allerdings noch nie etwas genützt, denn der paramilitärische Flügel wird in San José de Apartadó seit Jahrzehnten unterstützt.

Samstag, 5. August 2023 erfuhren wir, dass ein Treffen zur Projektplanung eines absolut notwendigen Naturreservats in der Umgebung von San José de Apartadó durch Intervention der Zentralregierung gestört werden soll.

Am Dienstagmorgen 8. August 2023 fand ein Treffen zwischen einer Delegation unserer Friedensgemeinschaft und Beamten der URT, der territorialen Direktion von Apartadó und der zentralen Ebene von Bogotá statt.
Die URT und die Friedensgemeinschaft hatten Termine und Verfahren geplant, um mit dem zweiten Tag der Georeferenzierung auf einigen Grundstücken fortzufahren, die sich im Besitz unserer Gemeinschaft befinden und die im Rahmen der Landrückgabe gemäß dem Gesetz 1448 von 2011 von großen politischen und wirtschaftlichen Interessen, die sie motivieren, gefordert werden.

Der Blogger befürchtet auch hierbei wieder unfaire Methoden der Friedensgemeinde gegenüber. Weitere Grenzüberschreitungen auch von Paras in Uniform, verbale Respektlosigkeiten, schwere Körperverletzung an einem Landwirt aus La Hoz, mehrmals Androhung von Gewalt und Mord, zweifacher Mordversuch, Diebstahl von geschütztem Holz, üble Nachrede auch in den sozialen Netzwerken über die Friedengemeinde werden moniert. Betroffene Gebiete waren z.T. offiziell von der URT vor Übergriffen geschützt worden. Einige Male behaupteten Eindringlinge auch einfach von der URT die Erlaubnis erhalten zu haben. (d. Ü.)

Weiter mit dem Blog:

Die Anwesenheit dieser Eindringlinge in unseren Räumen schränkt unsere Freiheiten und unsere Ruhe ein.

Am Montag, 4. September 2023 wurde der junge DAYRON ANDRES OSORIO ARTEAGA durch Schusswunden getötet.
Es wird nichts über die Umstände oder den Verursacher geschrieben. (d. Ü.)

Am Samstag, den 9. September 2023, wurde ein junger Mann getötet, sein Bruder war am Sonntag, den 24. Januar 2021 von Paramilitärs ermordet worden.
Auch hier keine Angabe der Umstände. (d. Ü.)

Oft fragen wir uns, ob es sich lohnt, unsere Hoffnungen in einen Staat zu setzen, der eigentlich die Garantien für das Leben unter Einhaltung der Menschenrechte (freier übersetzt d. Ü.) als zentrale Verpflichtung eines Rechtsstaates bieten sollte. Aber wir sehen, dass diese Rechte von Interessen, die der Gerechtigkeit und der Vernunft entgegenstehen, verweigert und mit Füßen getreten werden.

Wir werden den Weg der Erinnerung mit Ehre weitergehen, indem wir all derer, die sich für den Aufbau einer gerechteren Welt eingesetzt haben und noch immer einsetzen gedenken, während wir all jenen danken, die aus verschiedenen Teilen der Welt uns unterstützen mit ihrer Zuneigung und Solidarität.

Friedensgemeinde San José de Apartadó
22. September 2023

Der langsame Niedergang, den niemand verhindert

Unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wendet sich erneut an die nationale und internationale Gemeinschaft. Auch die jüngsten Ereignisse bedrohen das Leben der Zivilbevölkerung in unserem Umfeld und gefährden die Existenz unserer Friedensgemeinschaft. Es wird immer schwieriger, in einem Gebiet zu leben, in dem die Paramilitärs diejenigen sind, die herrschen und ihre Regeln über alle stellen. Bestechung, Erpressung, Zwangsrekrutierung sind alltäglich, hinzu kommt, dass die Zivilbevölkerung paramilitärischen Informanten erlauben muss, mit in ihren Häusern zu leben und ihre Regeln zu akzeptieren.

Der lang ersehnte „totale Frieden“ (die Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hat als politisches Ziel den „totalen Frieden“ – Paz Total – ausgerufen. Gemeint sind umfassende Verhandlungen mit allen nach wie vor aktiven bewaffneten Gruppen, begleitet von sozialreformerischen Programmen. Mit den strikt politisch motivierten,  wie die ELN-Guerilla sollte politisch verhandelt werden, die eher kriminell ausgerichteten, wie die Paramilitärs will die Regierung eher durch Strafnachlässe und Integrationsmaßnahmen zum Aufgeben bringen, Anm. d. Ü.) hat diese Region nicht erreicht, denn in diesem knappen Jahr der Regierung von Präsident Gustavo Petro gab es seitens der staatlichen Instanzen nicht das geringste Interesse daran, diesen Tätern entgegenzutreten. Die Paramilitäts üben weiter ihre Herrschaft aus, ohne von irgendjemandem behelligt zu werden.

Die Fakten, deren Einschätzung wir der Menschheit und der Geschichte überlassen, sind wie folgt:
(Wir erwähnen hier allerdings nur die u. M. n. besonders schwerwiegenden Belästigungen, Anm. d. Ü.)

In der ersten Juniwoche 2023 wurden Informationen zufolge einige Schüsse im Dorf Arenas Altas von Paramilitärs abgefeuert.

Des Weiteren kam es zu Zusammenstößen zwischen Paramilitärs, es wurde ein Rucksack mit Computern gestohlen (auf den Festplatten befanden sich offensichtlich Schriftstücke über ein Friedensthema), auch davon nahm die Polizei kaum Notiz.

Am Samstag, den 10. Juni 2023, wurde bei Tageslicht eine Person im Dorf La Balsa de San José de Apartadó tot aufgefunden. Nach Angaben der Menschen, die die Leiche fanden, wies sie mehrere Schusswunden auf.

In weiteren Berichten ist von Bedrohungen und einer versuchten Vergewaltigung die Rede. Die Präsenz von Paramilitärs in Tarnkleidung und mit Gewehren ausgestattet, beunruhigt die Zivilbevölkerung immer wieder.

Am Freitag, den 16. Juni 2023, wurde der leblose Körper des jungen EDWIN ANDRÉS CARVAJAL ÚSUGA in der Gemeinde Turbo gefunden. Dieser junge Mann aus dem Corregimiento von San José de Apartadó wurde von den Paramilitärs rekrutiert, die das Gebiet kontrollieren. Einige Tage zuvor, am Sonntag, den 11. Juni, kam es im Corregimiento von Nuevo Antioquia, Gemeinde Turbo, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen denselben Paramilitärs. Die ist ein Ort, der seit vielen Jahren von Militär- und Polizeipräsenz belastet ist. „El Médico“ begann, mehrere Paramilitärs und Zivilisten in Streit geraten. Als er Edwin hart traf, reagierte der heftig und tötete alias El Médico mit einer Schusswaffe, die ihm die Paramilitärs bei der Rekrutierung gegeben hatten. Die Paramilitärs nahmen Edwin und seinen Bruder gefangen und brachten sie gefesselt weg. Edwin wird getötet, als er in Currulao ankommt, sein Bruder wird mehrere Tage lang gefesselt gehalten und dann freigelassen. Sein Bruder, der Zivilist ist, musste das Gebiet verlassen, da er zur Zielscheibe der Paramilitärs wurde. Das gleiche Schicksal ereilte einen anderen jungen Mann, der sie begleitete und der ebenfalls ins Fadenkreuz der Paras geriet.

In der Region heißt es, die Paramilitärs hätten ihre Kommandostruktur geändert. Was die Rekrutierung junger Menschen, die Erhebung von Zwangs- und Bestechungsgeldern und die Unterwerfung der Bauern unter ihre neuen Richtlinien intensiviert. Darüber hinaus sollen die neuen Führer selbst erklärt haben: Wer einmal drin ist, kommt lebend nicht mehr raus.

Es ist schlimm, dass die Mainstream-Medien in Kolumbien den Paramilitarismus als ein Phänomen der Vergangenheit betrachten und wie sich alle staatlichen Institutionen auf die totale Toleranz des Paramilitarismus eingestellt haben. Weder die Öffentlichkeit noch die kommunalen Verwaltungen, noch die Geschäftswelt, noch die politischen Parteien, noch irgendjemand verurteilt die totale paramilitärische Herrschaft, in unserer Region oder anderen Regionen in denen es ähnlich zugeht.

Sie sind Herren über Leben und Tod. EDWIN ist eines der jüngsten Opfer. Sie kontrollieren alle Siedlungen und das wird von allen Behörden geduldet und unterstützt, sie kontrollieren die Wirtschaft mit ihren Schutzgeldern und der Durchsetzung ihrer absurden Pläne und „Entwicklungsmodelle“. Es ist ein akzeptiertes System der Sklaverei, das die derzeitige „Regierung des Wandels“ gar nicht im Blick hat. Wie schrecklich!

Aus unserer Friedensgemeinschaft senden wir eine Botschaft an das Land und die Welt, dass wir uns der Verteidigung eines Lebens ohne Krieg anschließen möchten. Der Krieg erstickt und lässt das menschenwürdige Leben der umliegenden Bevölkerung ausbluten. All dies zu ändern, scheint für diese Regierung keine Priorität zu haben, obwohl sie doch eigentlich den Wandel proklamiert.

Wir können uns nur bei allen Menschen und Gemeinschaften bedanken, die aus den vielen Teilen des Landes und der Welt an unseren Widerstand glauben und keinen Schritt weichen, sondern uns moralische Kraft gegeben haben, um in unserem Gebiet weiter Widerstand zu leisten. Ihnen allen, vielen Dank, dass Sie unsere Förderer einer echten Veränderung sind.

Comunidad de Paz San José de Apartadó
Juni 2023

Tag für Tag neue Formen der Unterdrückung

Die Vernichtungsstrategien gegen unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó setzen sich Schritt für Schritt fort, Tag für Tag entwickeln unsere Gegner neue Formen der Repression gegen unseren Gemeinschaftsprozess. Unentwegt kündigen sie den „finalen Schlag“ gegen unseren Lebensprozess an, ein „Schlag“, der von denen geplant wird, denen wir mit unserem Lebensprojekt im Weg stehen.

Folgende neue Vorfälle möchten wir der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben:

Am Mittwoch, 29. März, wurde Jailer Stiven Góez ermordet, ein junger Einwohner des Dorfes San José. Offenbar hat er zu den Paramilitärs gehört. Unsere Gemeinschaft hatte bereits berichtet, dass immer wieder Minderjährige aus den Dörfern von San José de Apartadó von den Paramilitärs rekrutiert werden.

Am selben Tag wurde Liliana Roja, eines unserer Mitglieder, offenbar von einem Beamten der Staatsanwaltschaft von Urabá angerufen, der sich als Henry Mauricio Vásquez vorstellte. In Missachtung unseres grundsätzlichen Bruchs mit dem Justizapparat drängte dieser Beamte Liliana, ihn in der Siedlung unserer Gemeinschaft in San Josesito zu treffen oder eine Einladung zu einem Treffen an einem anderen Ort außerhalb der Gemeinschaft anzunehmen, alles mit dem Ziel, Informationen über den Tod von Jimmy Andrés Sepúlveda zu sammeln, der im September vergangenen Jahres ermordet wurde. Es ist empörend, dass versucht wird, Informationen über die Mörder ausgerechnet bei uns zu suchen. Als ob wir die Verbrecher verstecken würden – es ist doch allgemein bekannt, dass sie in der Stadt San José de Apartadó leben und ständig mit der Militär- und Polizeibehörde zusammenarbeiten. Sepúlveda wurde nur wenige Meter von der Polizeistation und dem Militärstützpunkt entfernt, wo sich die Täter Tag und Nacht herumtreiben. Es ist im Übrigen nicht die Aufgabe der Friedensgemeinschaft oder ihrer Mitglieder, nachrichtendienstliche Arbeit zu leisten, und schon gar nicht für ein so furchtbar korruptes Justizsystem, das Hunderte von Verbrechen, die uns betroffen haben, ungestraft gelassen hat und mit dem wir seit vielen Jahren aus Gewissensgründen nicht mehr zusammenarbeiten. (…)

In den letzten März-Tagen haben uns mehrere Bauern darüber informiert, wie die Beamten der Landrückgabe-Einheit von Urabá die Landrückgabe-Anträge bearbeiten (Anm. d. Ü.: Die Landrückgabe-Einheiten – unidades de restitución de tierras – sind die Behörden, die einen der zentralen Punkte des Friedensabkommens zwischen Staat und Farc von 2016 umsetzen sollen: Die Rückgabe des Landes, das die im Laufe des Konfliktes Vertriebenen verlassen mussten und das sich dann andere, meist die Vertreiber, aneigneten. In der Praxis handelt es sich um die Klärung oft komplizierter, verworrener Besitzansprüche, bei der oft die Kleinbauern gegen örtlich Mächtigen den Kürzeren ziehen). Unsere Gemeinschaft konnte sich von der Art und Weise überzeugen, in der die Beamten über diese Grundstücke Informationen sammeln, die bruchstückhaft sind und den Interessen von Personen dienen, die mit den Opfern nichts zu tun haben, (…).

Am Freitag, 31. März, gegen 22.00 Uhr, wurden vor der Siedlung unserer Friedensgemeinschaft San Josesito, an der Straße, die von Apartadó nach San José führt, von Personen auf Motorrädern Schüsse abgefeuert. Das gleiche wiederholte sich am Abend danach.

Am Donnerstag, 13. April, führte ein Richter für Landrückgabe eine gerichtliche Inspektion des Landes durch, das der Bauernfamilie Jaime Garcia und Olga Carlosama gehört und nahe dem Stadtzentrum von San José de Apartadó liegt. Das Büro des Bürgerbeauftragten, das den Auftrag hat, über die Rechte der derzeitigen Eigentümer zu wachen, war bei dem Verfahren nicht anwesend. Es hatte den Rechtsanwalt Javier Vuelvas mit der Vertretung der Familie García Carlosama beauftragt. Aber der Anwalt blieb untätig – seine einzige Aktivität war der Ratschlag für die Familie García Carlosama, „alles Holz zu fällen, alles wegzuschaffen, was sie können und das Land zu verlassen, und wenn sie ein Familienmitglied oder einen Ort haben, wo sie hingehen können, sollten sie schnellstens gehen“. Wie kann so eine Karikatur eines hochgradig kooptierten Beamten in einer Institution geduldet werden, die angeblich ihre korrupten Verfahren ändern will?

In den letzten Tagen des April befuhren bekannte Paramilitärs und Pistoleros auf Motorrädern immer wieder die Straße von Apartadó nach San José.

Am Freitag, 28. April, betraten zwei dunkel gekleidete Personen kurz vor Mitternacht die Siedlung San Josesito. Nach einer Viertelstunde flüchteten sie auf der Straße nach Apartado. Vier Tage später kam erneut mitten in der Nacht derartiger unerwünschter Besuch, der nach kurzer Zeit verschwand.

Am Mittwoch, 3. Mai, haben wir hohe Staatsbeamte auf die betrügerische Art und Weise aufmerksam gemacht, mit der sich die Polizei das Grundstück der Polizeistation San José de Apartadó angeeignet hat. Das geschah zum einen durch gewaltsame Methoden unter Berufung auf einen Präsidialerlass nach dem schrecklichen Massaker vom 21. Februar 2005 an unserer Friedensgemeinschaft. Zum anderen wurden gefälschte Dokumente vorgelegt, unter anderem um ein Grundstück, für das bereits ein Besitztitel bestand, als „leeres Grundstück“ zu deklarieren (…).

Am Donnerstag, 4. Mai, erhielten wir die Information, dass erneut ein Plan zur Invasion eines der Gemeinschaftsgrundstücke der Friedensgemeinschaft, in diesem Fall des Grundstücks Las Delicias in La Esperanza, Gemeinde San José de Apartadó, in Arbeit ist. Es ist bekannt, dass sich die Verantwortlichen von La Esperanza und anderer Dörfer mit Paramilitärs getroffen haben, um die Invasion des Landstückes Las Delicias, das sie „Esperanza II“ genannt haben, zu erleichtern. Dieses Land ist aufgrund seiner geographischen Lage für die wirtschaftliche und soziale Macht in der Region von Interesse. Sie haben bereits viel unternommen, um uns dieses Land wegzunehmen. Man hat verschiedene Formen der Repression gegen unsere Friedensgemeinschaft eingesetzt, die Grenzen verletzt, Zäune zerstört und Straßenbaumaschinen eingesetzt, um gewaltsam eine Straße zu bauen. Gegen diese Straße wehren wir uns entschieden, weil sie von Paramilitärs betrieben wird, weil sie keine Umweltgenehmigung besitzt, weil die Bauernschaft nicht vorschriftsgemäß konsultiert wurde, weil sie das Recht auf Schutz und Achtung des Privateigentums missachtet, wie es in der kolumbianischen Verfassung festgelegt ist.

Am Freitag, 5. Mai, fand eine Anhörung vor dem Zivilrichter des Bezirks Apartadó statt, bei der es um das Grundstück Roncona ging, ein Grundstück, auf das unsere Friedensgemeinschaft seit mehr als 26 Jahren friedlicher Besetzung für die Subsistenzlandwirtschaft Anspruch erhoben hat. In diesem Prozess konnte nachgewiesen werden, dass wir den friedlichen, öffentlichen und ununterbrochenen Besitz viel länger als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestzeit für die Verschreibung des Eigentums an dem Grundstück ausgeübt haben.

Am Dienstag, 9. Mai, wurden tagsüber in der Ortschaft Arenas Altas mehrere Paramilitärs gesehen, darunter ein bekannter Kommandant der Gegend, die dunkle Anzüge, Waffen und Funkgeräte trugen und in unseren gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsbereich in Arenas Altas eindrangen.

Am Montag, 15. Mai, erhielten wir Informationen, nach denen die Streitkräfte mehrfach das Eigentum von Bauern im Dorf Arenas verletzt hat. Offenbar ist das Militär seit dem 29. April ohne Erlaubnis in die Häuser eingedrungen, wobei es zu Plünderungen gekommen ist.

Wir bekräftigen unsere tiefsten Überzeugungen zur Verteidigung des Lebens und des Territoriums, die uns immer wieder dazu drängen und herausfordern, diese ethischen und moralischen Prinzipien zu verteidigen, indem wir unser eigenes Leben an die zweite Stelle und den kollektiven und menschlichen Sinn des Lebens an die erste Stelle setzen.

San José de Apartadó, 15. Mai 2023

Brief an Präsident Gustavo Petro

Internationales Netzwerk der Solidarität mit der Friedensgemeinschaft.
San José de Apartadó 29. April 2023

Ihre Exzellenz
Gustavo Francisco Petro Urrego,
Presidente de la República de Colombia, Bogotá

Anlässlich des Jahrestages der Gründung der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wenden wir uns an Sie, Herr Präsident, um Ihnen einige Überlegungen vorzustellen zu dem ständigen Risiko, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft nach 26 Jahren des Friedensaufbaus von unten, der Verteidigung des Lebens und des Territoriums immer noch leben müssen. Ebenso wäre es hilfreich, wenn die derzeitige Regierung die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Gemeinschaft erleichterte, die, wie Sie wissen, im Jahr 2005 nach dem schrecklichen Massaker an acht ihrer Mitglieder durch staatliche Agenten den Bruch mit allen Institutionen des kolumbianischen Staates erklärt hat.

(Anm. d. Ü.: In einer Fußnote erläutert der Brief den historischen Hintergrund: „In den Archiven mehrerer internationaler Organisationen finden sich die Antworten der Regierung von Álvaro Uribe Vélez, in denen das Massaker (von 2005) der FARC zugeschrieben wurde, unterzeichnet vom damaligen Vizepräsidenten Francisco Santos, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio und anderen, die gemeinsam versuchten, die Verantwortung des Staates zu verschleiern und stattdessen die Gemeinschaft mit den aufständischen Gruppen in Verbindung zu bringen – bis hin zu der Behauptung, der Grund für das Massaker sei das Interesse von Luis Eduardo Guerra gewesen, sich auf die Seite der Guerrilla zu schlagen.“ 2005 wurde Luis Eduardo Guerra, der Sprecher des Friedensdorfes, zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem elfjährigen Sohn ermordet.)

Wir, die Unterzeichnenden, sind europäische Institutionen und Organisationen, die die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó seit vielen Jahren begleiten, und wir erkennen den immensen Wert und die Kohärenz dieser Gemeinschaft bei der fortgesetzten Verteidigung ihrer Prinzipien durch Gewaltlosigkeit an.

In den 26 Jahren ihres Bestehens hat sie die Ermordung von mehr als 300 Genossen in der Gemeinschaft durch verschiedene bewaffnete Gruppen (Paramilitärs, Nationale Armee und Guerilla) sowie ständige Aggressionen, Einschüchterungen, Demütigungen und die Nichtanerkennung der von den staatlichen Institutionen verursachten Verletzungen erlitten. Wie aus den Berichten hervorgeht, in denen die Gemeinschaft seit Jahren die Übergriffe gegen ihre Mitglieder und die umliegende Bevölkerung festhält, ist die Situation aufgrund der Paramilitarisierung der Bevölkerung und der regionalen und lokalen Institutionen, der Anwesenheit bewaffneter Gruppen auf ihrem Land und des ständigen Machtmissbrauchs durch die staatlichen Streitkräfte sowie – und das ist sehr wichtig – der wirtschaftlichen Interessen an ihrem Land und der ständigen Versuche, es ihnen wegzunehmen, äußerst ernst.

Eines der größten Probleme, das die Friedensgemeinschaft hat, ist die unsachgemäße Anwendung des Landrückgabegesetzes (Anm. d. Ü.: Gemeint ist das Gesetz 1448 von 2011, mit dessen Verabschiedung der Staat nicht nur formell die Existenz eines bewaffneten Konfliktes innerhalb seiner Landesgrenzen und folglich seine Schutzverantwortung gegenüber Millionen von Konfliktopfern anerkannte. Zugleich schuf er erstmals auch ein einheitliches Verfahren zur Entschädigung aller Gruppen von Opfern und Überlebenden des Konfliktes mitsamt einer eigenen, in großen Teilen völlig neuen Institutionenlandschaft.) Wie die Gemeinschaft immer wieder erfährt, konzentrieren sich die mit der Durchführung des Gesetzes befassten staatlichen Stellen darauf, Konflikte zwischen den Opfern selbst zu schaffen und arme und ungeschützte Familien mit Rückgabeforderungen zu konfrontieren, während die großen Fälle, an denen Unternehmen, multinationale Unternehmen, Politiker und andere beteiligt sind, nicht vorankommen. Die Gemeinschaft prangert an, dass das Landrückgabegesetz von großen wirtschaftlichen Interessen missbraucht wird, da sie dieses Gesetz nutzen, um den Verkauf von zurückerstattetem Land zu fördern und es so dem Markt zuzuführen. Die Friedensgemeinschaft beklagt, dass das juristische Instrument des Gesetzes eingesetzt wird, um sie ihres Eigentums zu berauben, das sie nicht nur legal erworben, sondern auch über 20 Jahre lang gepflegt und verteidigt hat.

Ein Beispiel dafür ist die Situation der Finca La Roncona. Im Dezember 2018 wollte die Gemeinschaft mit einer Zivilrechtsklage ihren Anspruch auf das Eigentum an der Finca Roncona juristisch absichern. Aber die Verhandlung wurde bereits viermal verschoben, was mittlerweile als Rechtsbeugung bezeichnet werden kann. Der mit dem Fall befasste Richter, William González de la Hoz, war 2016 regionaler Ombudsmann in Urabá. In diesem Amt erklärte er damals, dass es im Dorf Rodoxalí keine paramilitärischen Gruppen gebe und dies, obwohl es Beschwerden über die Anwesenheit von Illegalen gab, die in Absprache mit den Streitkräften Bewohner vertrieben und sie zum Umsiedeln zwangen. Vor diesem Hintergrund steht seine Tätigkeit als der mit dem Fall La Roncona befasste Richter im Zwielicht.

Wir sind Zeugen der Rechtsverletzung durch diesen Richter, der die Anhörungen einfach verhindert hat. Der für den 26. Oktober letzten Jahres anberaumte Termin, an dem mehr als 40 Vertreter europäischer Institutionen und Organisationen als Beobachter teilnehmen sollten, fand nicht statt. Das Gericht informiert nicht einmal vorher über ihre Absage, desgleichen die Anhörung am 8. Februar dieses Jahres, wobei hier als Begründung ein Verfahrensfehler angegeben wurde. Wir sind hoffen, dass ein Eingreifen des Zentralstaates die Situation der Schutzlosigkeit, unter der die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó leidet, beenden könnte (siehe beigefügtes Register der Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen 2022).

Wir möchten aber auch zum Ausdruck bringen, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahren bei den Mitgliedern der Friedensgemeinschaft eine gewisse Hoffnung im Hinblick auf die derzeitige Regierung sehen, und wir glauben daher, dass nun das Vertrauen der Friedensgemeinde in die staatlichen Institutionen verbessert oder sogar wiederhergestellt werden kann.

In der Vergangenheit hat die Gemeinschaft die staatlichen Behörden häufig um Zeichen des guten Willens und an Garantien für die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung gebeten.

In der Überzeugung, dass diese Zeichen mit Ihrer Haltung und Ihrem Regierungsprogramm übereinstimmen, legen wir sie Ihnen vor:

  1. Öffentliche Rücknahme der Verleumdung des kolumbianischen Staates gegen die Friedensgemeinschaft nach dem Massaker vom 21. Februar 2005 durch den Präsidenten;
  2. Überprüfung des Standorts des Polizei-Hauptquartiers und der Militärbasis im Stadtzentrum von San José de Apartadó;
  3. Einrichtung humanitärer Zonen in San José de Apartadó, Erklärung der Friedensgemeinde zu einem Friedenslabor;
  4. Einsetzung einer Kommission, die unter anderem untersuchen soll, warum es im Fall der Friedensgemeinde San José de Apartadó keine Gerechtigkeit gegeben hat.

Herr Präsident, die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ist ein weltweit anerkanntes Beispiel für Friedenskonsolidierung, für die Verteidigung von Leben und Territorium und die Aufrechterhaltung der Erinnerung, was durch zahlreiche internationale Anerkennungen bezeugt wird. (…)

Wir hoffen, dass die Regierung des Historischen Paktes die Hoffnung dieser Gemeinschaft teilt und konsequent handelt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Kunath und Beate Francke-Kern

(Es folgen die Unterschriften von über 30 Politik- und Wissenschafts-Vertreterinnen und -Vertretern aus Spanien, Italien, Belgien, Österreich, Deutschland, England und Frankreich)