Brief an Präsident Gustavo Petro

Internationales Netzwerk der Solidarität mit der Friedensgemeinschaft.
San José de Apartadó 29. April 2023

Ihre Exzellenz
Gustavo Francisco Petro Urrego,
Presidente de la República de Colombia, Bogotá

Anlässlich des Jahrestages der Gründung der Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó wenden wir uns an Sie, Herr Präsident, um Ihnen einige Überlegungen vorzustellen zu dem ständigen Risiko, in dem die Mitglieder der Gemeinschaft nach 26 Jahren des Friedensaufbaus von unten, der Verteidigung des Lebens und des Territoriums immer noch leben müssen. Ebenso wäre es hilfreich, wenn die derzeitige Regierung die Wiederaufnahme der Beziehungen zur Gemeinschaft erleichterte, die, wie Sie wissen, im Jahr 2005 nach dem schrecklichen Massaker an acht ihrer Mitglieder durch staatliche Agenten den Bruch mit allen Institutionen des kolumbianischen Staates erklärt hat.

(Anm. d. Ü.: In einer Fußnote erläutert der Brief den historischen Hintergrund: „In den Archiven mehrerer internationaler Organisationen finden sich die Antworten der Regierung von Álvaro Uribe Vélez, in denen das Massaker (von 2005) der FARC zugeschrieben wurde, unterzeichnet vom damaligen Vizepräsidenten Francisco Santos, dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Luis Camilo Osorio und anderen, die gemeinsam versuchten, die Verantwortung des Staates zu verschleiern und stattdessen die Gemeinschaft mit den aufständischen Gruppen in Verbindung zu bringen – bis hin zu der Behauptung, der Grund für das Massaker sei das Interesse von Luis Eduardo Guerra gewesen, sich auf die Seite der Guerrilla zu schlagen.“ 2005 wurde Luis Eduardo Guerra, der Sprecher des Friedensdorfes, zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem elfjährigen Sohn ermordet.)

Wir, die Unterzeichnenden, sind europäische Institutionen und Organisationen, die die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó seit vielen Jahren begleiten, und wir erkennen den immensen Wert und die Kohärenz dieser Gemeinschaft bei der fortgesetzten Verteidigung ihrer Prinzipien durch Gewaltlosigkeit an.

In den 26 Jahren ihres Bestehens hat sie die Ermordung von mehr als 300 Genossen in der Gemeinschaft durch verschiedene bewaffnete Gruppen (Paramilitärs, Nationale Armee und Guerilla) sowie ständige Aggressionen, Einschüchterungen, Demütigungen und die Nichtanerkennung der von den staatlichen Institutionen verursachten Verletzungen erlitten. Wie aus den Berichten hervorgeht, in denen die Gemeinschaft seit Jahren die Übergriffe gegen ihre Mitglieder und die umliegende Bevölkerung festhält, ist die Situation aufgrund der Paramilitarisierung der Bevölkerung und der regionalen und lokalen Institutionen, der Anwesenheit bewaffneter Gruppen auf ihrem Land und des ständigen Machtmissbrauchs durch die staatlichen Streitkräfte sowie – und das ist sehr wichtig – der wirtschaftlichen Interessen an ihrem Land und der ständigen Versuche, es ihnen wegzunehmen, äußerst ernst.

Eines der größten Probleme, das die Friedensgemeinschaft hat, ist die unsachgemäße Anwendung des Landrückgabegesetzes (Anm. d. Ü.: Gemeint ist das Gesetz 1448 von 2011, mit dessen Verabschiedung der Staat nicht nur formell die Existenz eines bewaffneten Konfliktes innerhalb seiner Landesgrenzen und folglich seine Schutzverantwortung gegenüber Millionen von Konfliktopfern anerkannte. Zugleich schuf er erstmals auch ein einheitliches Verfahren zur Entschädigung aller Gruppen von Opfern und Überlebenden des Konfliktes mitsamt einer eigenen, in großen Teilen völlig neuen Institutionenlandschaft.) Wie die Gemeinschaft immer wieder erfährt, konzentrieren sich die mit der Durchführung des Gesetzes befassten staatlichen Stellen darauf, Konflikte zwischen den Opfern selbst zu schaffen und arme und ungeschützte Familien mit Rückgabeforderungen zu konfrontieren, während die großen Fälle, an denen Unternehmen, multinationale Unternehmen, Politiker und andere beteiligt sind, nicht vorankommen. Die Gemeinschaft prangert an, dass das Landrückgabegesetz von großen wirtschaftlichen Interessen missbraucht wird, da sie dieses Gesetz nutzen, um den Verkauf von zurückerstattetem Land zu fördern und es so dem Markt zuzuführen. Die Friedensgemeinschaft beklagt, dass das juristische Instrument des Gesetzes eingesetzt wird, um sie ihres Eigentums zu berauben, das sie nicht nur legal erworben, sondern auch über 20 Jahre lang gepflegt und verteidigt hat.

Ein Beispiel dafür ist die Situation der Finca La Roncona. Im Dezember 2018 wollte die Gemeinschaft mit einer Zivilrechtsklage ihren Anspruch auf das Eigentum an der Finca Roncona juristisch absichern. Aber die Verhandlung wurde bereits viermal verschoben, was mittlerweile als Rechtsbeugung bezeichnet werden kann. Der mit dem Fall befasste Richter, William González de la Hoz, war 2016 regionaler Ombudsmann in Urabá. In diesem Amt erklärte er damals, dass es im Dorf Rodoxalí keine paramilitärischen Gruppen gebe und dies, obwohl es Beschwerden über die Anwesenheit von Illegalen gab, die in Absprache mit den Streitkräften Bewohner vertrieben und sie zum Umsiedeln zwangen. Vor diesem Hintergrund steht seine Tätigkeit als der mit dem Fall La Roncona befasste Richter im Zwielicht.

Wir sind Zeugen der Rechtsverletzung durch diesen Richter, der die Anhörungen einfach verhindert hat. Der für den 26. Oktober letzten Jahres anberaumte Termin, an dem mehr als 40 Vertreter europäischer Institutionen und Organisationen als Beobachter teilnehmen sollten, fand nicht statt. Das Gericht informiert nicht einmal vorher über ihre Absage, desgleichen die Anhörung am 8. Februar dieses Jahres, wobei hier als Begründung ein Verfahrensfehler angegeben wurde. Wir sind hoffen, dass ein Eingreifen des Zentralstaates die Situation der Schutzlosigkeit, unter der die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó leidet, beenden könnte (siehe beigefügtes Register der Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen 2022).

Wir möchten aber auch zum Ausdruck bringen, dass wir zum ersten Mal seit vielen Jahren bei den Mitgliedern der Friedensgemeinschaft eine gewisse Hoffnung im Hinblick auf die derzeitige Regierung sehen, und wir glauben daher, dass nun das Vertrauen der Friedensgemeinde in die staatlichen Institutionen verbessert oder sogar wiederhergestellt werden kann.

In der Vergangenheit hat die Gemeinschaft die staatlichen Behörden häufig um Zeichen des guten Willens und an Garantien für die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung gebeten.

In der Überzeugung, dass diese Zeichen mit Ihrer Haltung und Ihrem Regierungsprogramm übereinstimmen, legen wir sie Ihnen vor:

  1. Öffentliche Rücknahme der Verleumdung des kolumbianischen Staates gegen die Friedensgemeinschaft nach dem Massaker vom 21. Februar 2005 durch den Präsidenten;
  2. Überprüfung des Standorts des Polizei-Hauptquartiers und der Militärbasis im Stadtzentrum von San José de Apartadó;
  3. Einrichtung humanitärer Zonen in San José de Apartadó, Erklärung der Friedensgemeinde zu einem Friedenslabor;
  4. Einsetzung einer Kommission, die unter anderem untersuchen soll, warum es im Fall der Friedensgemeinde San José de Apartadó keine Gerechtigkeit gegeben hat.

Herr Präsident, die Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó ist ein weltweit anerkanntes Beispiel für Friedenskonsolidierung, für die Verteidigung von Leben und Territorium und die Aufrechterhaltung der Erinnerung, was durch zahlreiche internationale Anerkennungen bezeugt wird. (…)

Wir hoffen, dass die Regierung des Historischen Paktes die Hoffnung dieser Gemeinschaft teilt und konsequent handelt.

Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Kunath und Beate Francke-Kern

(Es folgen die Unterschriften von über 30 Politik- und Wissenschafts-Vertreterinnen und -Vertretern aus Spanien, Italien, Belgien, Österreich, Deutschland, England und Frankreich)

Die Wellen des Terrors, die unser Land stets von neuem überfluten

Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die nationale und internationale Gemeinschaft, um die jüngsten Ereignisse, die das Leben der Bevölkerung in unserem geografischen und sozialen Umfeld und die Existenz unserer Friedensgemeinschaft bedrohen, zu Protokoll zu geben.

Wir befinden uns in einer Zeit großer Unsicherheit im Land, da verschiedene Friedensprozesse mit verschiedenen illegalen bewaffneten Gruppen angekündigt wurden (Anm. d. Ü.: Zur Politik des totalen Friedens siehe Anmerkung weiter unten). Aber es ist klar, dass keine Fortschritte gemacht werden, da die Unterdrückung der Bevölkerung durch diese Gruppen immer stärker wird. Bei uns jedenfalls gibt es keine Anzeichen für eine Änderung der Politik des paramilitärischen Terrors, der über Jahre hinweg eindeutig im Schutz der Sicherheitskräfte und den verschiedenen staatlichen Institutionen ausgeübt wurde.

In den Dörfern der Gemeinde San José müssen wir weiterhin die Präsenz der Paramilitärs hinnehmen, ohne dass sie von irgendjemandem gestört werden. Es ist sehr deutlich zu beobachten, wie in diesen mehr als sieben Monaten der Regierung von Gustavo Petro immer noch nichts getan wird, um zu verhindern, dass die Bevölkerung unter der Kontrolle der Paramilitärs steht.

In letzter Zeit haben die Behörden eher Scheinoperationen in die Wege geleitet, die Situation, die wir erleiden, entweder irgendwie zu legalisieren oder zu bemänteln. In einigen Fällen, in denen es zu Festnahmen in der Stadt San José gekommen ist, haben sie in den sozialen Netzwerken Werbung gemacht und die Öffentlichkeit mit der Behauptung getäuscht, sie würden den Drogenhandel oder paramilitärische Strukturen zerschlagen. In Wirklichkeit haben sie unter irgendeinem Vorwand echte Paramilitärs gefangen genommen, die am nächsten Tag wieder freigelassen werden und in vielen Fällen in die Gegend zurückkehren, um weiter mit Drogen zu handeln und mit Terror gegen die Bevölkerung vorzugehen.

Es ist klar, dass der Neubau von Straßen auf dem Gebiet von  San José de Apartadó keine Initiative der Regierung selbst war, sondern von großen Unternehmen, die versuchen, die Zivilbevölkerung durch Paramilitärs zu kontrollieren, um ungestört die Bergbauvorkommen zu erschließen und auszubeuten. Sieben Abbau-Lizenzen haben sie sich bereits gesichert, mehr als ein halbes Dutzend weitere sind beantragt. (Anm. d. Ü.: Der Blog erwähnt leider nicht, auf welche Vorkommen sich die Bergbaulizenzen beziehen. Jedoch gehört das Departamento Antioquia, in dem San José liegt, laut Regierungsangaben zu den Hauptfördergebieten von Gold. Ähnliches gilt für Kohle, siehe weiter unten)

Die Ereignisse der letzten Zeit sind die folgenden:

Am Samstag, 11. Februar, berichteten die regionalen Medien, dass drei Bürger in der Ortschaft San José de Apartadó wegen Drogenhandels verhaftet worden seien. Diese jungen Leute wurden wenige Minuten nach der Meldung der Medien wieder freigelassen.

Am Mittwoch, 22. Februar, als eine Kommission unserer Friedensgemeinde von der Gedenkfeier zum 18. Jahrestag des Massakers an den Mulatos und Resbalosa in Richtung der Siedlung San Josesito zurückkehrte, wurden sie mehrere Minuten lang von vier Paramilitärs in dem als La Sucia bekannten Ort in der Nähe von San José verfolgt. Dort befinden sich ein Polizeiquartier und ein Militärstützpunkt.

Am Freitag, 3. März, wurde unsere Gemeinde erneut über einen Plan einiger Bewohner der Region und von bekannten Paramilitärs informiert, in unsere Ländereien einzudringen.

Am Sonntag, 5. März, traten mehrere Bewohner von San José de Apartadó an uns heran, um ihre Besorgnis über die Ankündigungen der Landrückgabeeinheit URT zum Ausdruck zu bringen, die ihnen in den kommenden Tagen ihre Grundstücke wegnehmen und sie an Landanwärter übergeben wolle (Anm. d. Ü.: Diese Behörden, Unidad de Restitución de Tierras – URT – wurden 2012 im Zuge des Friedensprozesses mit der Farc-Guerilla  ins Leben gerufen; sie sollen den Opfern des Konflikts, die von ihrem Land vertrieben oder enteignet wurden, zu ihren alten Rechten verhelfen). Es ist unerhört, dass in Prozessen, an denen Geschäftsleute, Politiker, Ölpalmen-Produzenten und andere reiche Sektoren der Region beteiligt sind, die mit dem Paramilitarismus verbündet sind und viel Blutvergießen verursachen, die Landrückgabe nicht vorankommt. In dem Bestreben, vorzeigbare Ergebnisse bei der Landrückgabe zu erzielen, bearbeitet die URT Fälle, bei denen es sich um einfache Bauern handelt, die unter den Schrecken der Gewalt gelitten und überlebt haben und die dann kleine Grundstücke aus den Händen anderer leidender Einwohner frei erworben haben. Nun will man ihnen dieses Land wegnehmen, was zu neuer Enteignung und Vertreibung führt, bloß dass die Täter in diesem Fall staatliche Institutionen wie die URT sind, die gegen die Bauern vorgehen und sie erneut zu Opfern machen, wie sich bereits in einigen anderen Fällen in der Region gezeigt hat. (…)

Am Mittwoch, 8. März, wurde unsere Friedensgemeinde auf die Anschuldigungen eines ehemaligen Paramilitärs namens Cristián hingewiesen, der im Dorf San José das Kommando hatte. Er behauptet, dass die meisten Einwohner des Dorfes eng mit den paramilitärischen Gruppen zusammenarbeiten und dass dies kein Geheimnis sei.

Am Freitag, 10. März, kam es gegen 22 Uhr in La Unión nahe dem Dorfzentrum zu einem etwa zehn Minuten langen Schusswechsel, offenbar von Angehörigen der 17. Heeresbrigade, die im Dorf anwesend waren. Mehrere Bewohner des Dorfes gaben an, dass die Schüsse ihnen Angst machten und sie in Gefahr brachten, da die Kugeln in Richtung des Dorfes gerichtet waren. Die Hintergründe des Schusswechsels sind unbekannt.

Am Samstag, 11. März, wurde ein Mitglied unserer Friedensgemeinde an einem Kontrollpunkt des Heeres zwischen unserer Siedlung San Josesito und dem Zentrum von San José de Apartadó abgefangen, beschimpft und gezwungen, aus dem Fahrzeug auszusteigen, mit dem er zu seiner Arbeitsstelle fuhr, angeblich um es zu durchsuchen.

Am Montag, 13. März, traten einige Verantwortliche der Junta de Acción Comunal des Dorfes La Esperanza an Mitglieder unserer Gemeinschaft heran, um anzukündigen, dass sie eine Straße auf dem Grundstück von Las Delicias, einem Privatgrundstück unserer Friedensgemeinde, roden würden (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal sind lokale Mitbestimmungsgremien, die die Verfassung Kolumbiens vorsieht. In der Praxis sind diese Ortsbeiräte allerdings oft von den jeweils örtlich Mächtigen kooptiert.)

Am Mittwoch, 15. März, hat eine Gruppe von Bewohnern des Dorfes La Esperanza, die der Junta de Acción Comunal angehören, den Zaun des Landgutes Las Delicias, das sich in diesem Dorf befindet, angegriffen und entfernt. Die Eindringlinge erklärten, dass sie die Straße bauen, weil es ihr Recht sei, ohne sich darum zu kümmern, dass sie das Privateigentum unserer Gemeinde verletzen. Sie beschuldigten uns, Guerilleros zu sein.

Am Donnerstag, 16. März, wurden in der Ortschaft Buenos Aires fünf Paramilitärs gesehen, von denen einer eine Langwaffe trug.

Am Freitag, 17. März, gegen 11 Uhr, wurden mehrere Mitglieder unserer Friedensgemeinde im Dorf La Esperanza von Herrn Daney Tuberquia in Anwesenheit von internationalen Begleitern angesprochen, die verärgert behaupteten, dass wir mit unserer Weigerung, dem Bau einer Straße durch unser Grundstück zuzustimmen, ihre Rechte verletzten. Offenbar hat der Versuch, diese Straße zu bauen, keine rechtliche Grundlage, weil sie nicht einmal im entsprechenden Raumordnungsplan vorgesehen ist und weil sie außerdem das verfassungsgemäße Eigentumsrecht verletzen würde. Herr Daney wurde daran erinnert, dass es sich bei dieser Straße um ein Projekt handelt, das seit mehreren Jahren von den Paramilitärs gefördert, finanziert und koordiniert wird und dass in den letzten Monaten das Bürgermeisteramt von Apartadó und die Heeresbrigade an diesem von den Paramilitärs geförderten Projekt mitgearbeitet haben. Angesichts dieser Unverschämtheit wollen sie uns auch noch zwingen, dieses Straßenprojekt, ohne unsere Zustimmung zu bauen, das nur dem Kohleabbau im Abibe-Gebirge dient, den in den kommenden Jahren das Unternehmen Carbones del Golfo beginnen will.

Am Montag, 20. März, warnte uns ein Bewohner von San José vor einem geplanten Anschlag auf Germán Graciano Posso, den gesetzlichen Vertreter der Friedensgemeinde, und auf Arley Tuberquia, Mitglied unseres internen Rates. Paramilitärs verfolgen sie seit Monaten.

In letzter Zeit haben wir eine starke Bewegung von Paramilitärs, die Lang- und Kurzwaffen und Funkgeräte mit sich führten, in den Bauernhöfen, die ihnen gehören und in den verschiedenen Dörfern von San José de Apartadó festgestellt. Ende März hat die nationale Regierung angekündigt, den Waffenstillstand mit dem Golf-Clan, auch Autodefensas Gaitanistas de Colombia (AGC) genannt, aufzukündigen. (Anm. d. Ü.: Der linke Präsident Gustavo Petro hatte bei seinem Amtsantritt vergangenes Jahr eine Politik des totalen Friedens („paz total“) angekündigt. Danach will die Regierung nicht nur mit der Guerillagruppe ELN und den weiterkämpfenden Überbleibseln der Farc verhandeln, sondern auch mit den paramilitärischen Banden, von denen der Golf-Clan eine der einflussreichsten ist. Den Paras sollen, ähnlich wie der Guerilla, Strafnachlässe angeboten werden, wenn sie ihre Tätigkeit einstellen.

Während die Guerilla jedoch die Aussicht, ins zivile Leben zurückzukehren und sich in eine politische Kraft zu verwandeln, eventuell verlockend findet, ist so ein Angebot für die Paras gegenstandlos, weil sie keine sozialreformerischen Ziele verfolgen. So bleibt dem Staat nur, Strafnachlässe anzubieten. Das ist für den Golf-Clan aber nur von begrenztem Interesse. Nach einer kurzen Waffenruhe töteten der Golf-Clan in letzter Zeit allein in Antioquia 18 Menschen, worauf der Staat seine Zusagen fürs erste widerrief. Die Zeitschrift Semana beschreibt Anfang April die Hintergründe: Die intern zerstrittene AGC profitiere von der illegalen Goldproduktion derart, dass sie Strafnachlässe und Friedensschlüsse nicht interessierten.)

Als Friedensgemeinde sind wir uns bewusst, dass sich die Konfliktsituation unabhängig davon, ob es einen Friedensprozess gibt oder nicht, nicht wesentlich ändern wird. Denn wir hören, dass die Paramilitärs in der Region nach Möglichkeiten suchen, die Regierung in diesem Friedensprozess zu betrügen. Angesichts dieser Situation bleibt uns nichts anderes übrig, als an unseren ethischen und moralischen Überzeugungen festzuhalten, wohl wissend, wie schwierig es sein wird, sich dieser Maschinerie des Terrors entgegenzustellen. Von unserem geliebten Territorium aus können wir nur all den Stimmen der Ermutigung danken, die wir täglich aus dem Land und der Welt erhalten und die uns den Mut geben, unseren zivilen Widerstand als Friedensgemeinschaft fortzusetzen.

Friedensgemeinde San José de Apartadó, 22. März 2023

Kein Ende der Todesdrohungen

Unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó hat vom 18. bis 22. Februar einen humanitären und ökologischen „Fußmarsch für das Leben“ organisiert, bei dem wir von einer großen Gruppe von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt begleitet wurden. Diese Wanderung führte durch verschiedene Dörfer im Bezirk San José de Apartadó, darunter: Buenos Aires, La Unión, Las Nieves, El Porvenir, La Esperanza, Playa Larga, Mulatos und La Resbalosa. Dabei haben wir uns nicht nur von der starken paramilitärischen Präsenz und Kontrolle in mehreren Gebieten von San José überzeugen müssen, sondern auch vom illegalen Bau von Straßen, noch dazu ohne Genehmigung der Grundstückseigentümer. So zum Beispiel die Straße, die von Nuevo Antioquia aus in das Dorf La Esperanza angelegt werden soll, wodurch die in der Verfassung verankerten Rechte auf Autonomie, Ruhe und Privateigentum verletzt würden. Durch den Bau von Straßen wollten sie (gemeint sind offenbar die Paramilitärs, Anm. d. Ü.) sich einen Teil von Las Delicias aneignen, ein Landbesitz, der unserer Friedensgemeinde im Dorf La Esperanza gehört.
Während dieser Reise waren wir besonders berührt, als wir des 18. Jahrestages des schrecklichen Massakers gedachten, das der kolumbianische Staat am 21. Februar 2005 durch sein Militär und die Paramilitärs an unserer Friedensgemeinschaft verübte. Damals wurden acht Menschen, darunter ein 18 Monate altes Kind, auf grausame Weise getötet.

Herausragende Juristen haben es zwar in den Jahren danach geschafft, die in erster und zweiter Instanz verkündeten Freisprüche für die Täter zu Fall zu bringen, sodass zehn Soldaten am Ende für dieses schreckliche Verbrechen verurteilt wurden aber diese Verbrecher haben die JEP  ausgenutzt, die ihnen auf unrechtmäßige und beschämende Art und Weise Straffreiheit gesichert hat, die nun schon 18 Jahre andauert. (Anm. d. Ü.: Die JEP, Justicia Especial para la Paz, ist eine Sonder-Gerichtsbarkeit, die vor sieben Jahren im Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla etabliert wurde. Sie soll den Opfern des Konfliktes Gerechtigkeit widerfahren lassen, zur Wahrheitsfindung beitragen, Straffreiheit für die Täter verhindern, den Beteiligten am Konflikt langfristig Rechtssicherheit geben und generell zur Befriedung Kolumbiens hinwirken. Politisch sollte den Farc-Kämpfern der Übergang ins zivile Leben ermöglicht werden. In der Praxis allerdings, so die weitverbreitete Kritik vor allem von Opfern, würden viel zu viele Untaten amnestiert, was ja auch der Tenor des Blogs ist.  Die Formulierung im Blog – „la JEP la cual, de manera ilegítima y vergonzosa ha protegido su impunidad prolongada ya por 18 años“
– zeigt unserer Ansicht nach , dass die zehn Soldaten nicht bestraft wurden. Erneut wendet sich unsere Friedensgemeinde an die Menschheit und die Geschichte, um neue Tatsachen festzuhalten, die uns und die Bevölkerung unseres geographischen und sozialen Umfelds bedrohen.

Im Folgenden sind die neuen Tatsachen:

In der Woche vom 2. bis 7. Januar drangen Straßenbautrupps mit Maschinen ohne Zustimmung in unser Privateigentum auf der Farm Las Delicias im Dorf La Esperanza ein. Unsere Gemeinde verlangte Respekt vor dem Eigentum, aber die Täter wiesen uns in arrogantem Ton ab und arbeiteten weiter
Zwischen dem 6. und 10. Januar stellte eine Delegation unserer Gemeinschaft, die die Dörfer Buenos Aires, Mulatos und La Resbalosa besuchte, die starke Präsenz der Paramilitärs in diesen Dörfern fest. Sie trugen Waffen und Funkgeräte und liefen frei herum.

Am Freitag, 27. Januar, wurde in den sozialen Netzwerken ein Video verbreitet, in dem Ruber Mario García, der Präsident der Junta de Acción Comunal der Stadt San José, auftritt (Anm. d. Ü.: Diese Juntas, abgekürzt JAC, sind in der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsorgane auf kommunaler Ebene, die in der Praxis allerdings oft von den lokalen Mächtigen kooptiert und unterwandert sind). In diesem Video bietet er eines unserer Gemeinschaftsgrundstücke namens Santa Isabel im Dorf El Cuchillo zum Verkauf an, und zwar, wie er sagt, im Auftrag einer Frau namens Nubia, die behauptet, Eigentümerin des Grundstücks zu sein. In Wahrheit ist unsere Friedensgemeinde seit mehr als 25 Jahren im Besitz dieses Grundstücks.

Am Freitag, 3. Februar, wurde im Stadtzentrum von San José ein sogenannter Sicherheitsrat abgehalten, den die 17. Heeresbrigade und die Polizei veranstaltet hatten. Die Mehrheit der Bevölkerung nahm an diesem Treffen nicht teil, da die Streitkräfte kein Interesse daran haben, Schutz zu gewähren und gegen die paramilitärischen Gruppen vorzugehen, die das Gebiet kontrollieren.

Am Samstag, 4. Februar, und Sonntag, 5. Februar, wurden auf dem Grundstück La Roncona, das unserer Friedensgemeinschaft gehört, die Anwesenheit von Kippern und gelben Baumaschinen beim Abbau von Erde für den Straßenbau festgestellt, obwohl Mitglieder unserer Gemeinschaft schnell vor Ort waren und auf das laufende Gerichtsverfahren in Bezug auf dieses Grundstück hinwiesen. Die Arbeiter ignorierten sie mit der Begründung, dass sie die Friedensgemeinde als Eigentümerin des Grundstücks nicht anerkennen. Sie behaupteten, sie kämen im Auftrag des Bürgermeisteramtes und könnten tun, was sie wollten.

Am Sonntag, 5. Februar, verbreiteten Paramilitärs sowohl als Flugblatt als auch in den sozialen Netzwerken eine Drohung. Das Pamphlet bringt den Namen Colombia Humana (so heißt die Partei des linken Staatspräsidenten Gustavo Petro, Anm. d. Ü.) in Verruf, was den Sicherheitskräften als Vorwand diente, um Kontrollen im Stadtgebiet von La Victoria und illegale und manipulierte Razzien im Dorf San José durchzuführen.

Ebenfalls am Sonntag, 5. Februar, wurde unsere Gemeinde über eine Reihe von Entführungen von Personen, darunter auch Minderjährige, durch Paramilitärs informiert. Den Angaben zufolge ereigneten sich die Fälle im Stadtzentrum von San José.

Am Mittwoch, 8. Februar, wurde unsere Gemeinde kurz vor dem auf 9 Uhr angesetzten Termin darüber informiert, dass die Anhörung zum Grundstück La Roncona erneut abgesagt sei, obwohl wir uns zuvor an das Sekretariat des Gerichts gewandt hatten, wo man uns mitteilte, dass die Anhörung noch stattfinde. Dies sind Verhaltensweisen, die weiterhin die Existenz einer falschen „Justiz“ beweisen, die die Menschenwürde in höchstem Maße missachtet.

Am Freitag, 10. Februar, drangen tagsüber sechs Paramilitärs in das Haus eines Mitglieds unserer Gemeinde ein, das auf dem uns gehörenden Bauernhof La Cabaña im Dorf La Resbalosa lebt. Die Paramilitärs umstellten das Haus und verbreiteten Panik und Angst.

Am Montag, 20. Februar, drangen in der Ortschaft Mulatos mehrere Rinder der Paramilitärs in das Landgut Cumbre ein, das unserer Gemeinschaft gehört. Die Tiere blieben bis zum 27. Februar und zerstörten die Ernten von Bohnen, Bananen, Zwiebeln u.a. Ähnliches wiederholte sich drei Tage später in La Resbalosa, wo die Paramilitärs ebenfalls Rinder auf unsere Farm La Cabaña trieben.

Am Samstag, 25. Februar, erfuhren wir, dass die Polizei in San José dem Eigentümer eines Grundstücks, das sich neben dem illegal errichteten Hauptquartier der Polizei befindet, verboten hat, ein Haus zu bauen. Die Polizei behauptete, das Gelände gehöre ihr.

Ebenfalls am Samstag, 25. Februar, befand sich in der Ortschaft La Unión eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten auf dem Grundstück einer Familie aus unserer Friedensgemeinde. Sie wurden aufgefordert, das Gelände sofort zu verlassen. Das taten sie zwar, aber nicht ohne vorher Gesten der Wut gegen unseren bäuerlichen Prozess zu zeigen.

Am Sonntag, 26. Februar, erfuhr unsere Gemeinde von dem 30-tägigen Waffenstillstand, den die Paramilitärs in der Region ausgerufen haben und der besagt, dass sie nach Ablauf dieses Zeitraums mit kriegerischen Mitteln gegen die Zivilbevölkerung vorgehen werden (Anm. d. Ü.: Was sich hinter dieser lapidaren Drohung verbirgt, erklärt der Blog leider nicht).

Wir möchten erneut allen Gemeinschaften und Menschen in Kolumbien und in der ganzen Welt danken, die mit ihrer Wachsamkeit, ihren Botschaften und ihrer Begleitung unseren Widerstand unterstützen.

Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó im Februar 2023

Der Para-Chef ist verhaftet, aber die Paras sind präsenter denn je

Einmal mehr sieht sich unsere Friedensgemeinde San José de Apartadó in der ethischen und moralischen Pflicht, über die jüngsten Ereignisse zu berichten. Generell haben wir feststellen müssen, dass unsere Existenz immer mehr von Institutionen, die auf regionaler Ebene agieren, in Frage gestellt wird. Und es hat sich erwiesen, dass deren Vorgehen gegen uns von den nationalen Führungen dieser Institutionen nicht nur unterstützt, sondern geradezu angeordnet und geplant  wird.

Die Rekrutierung und gewaltsame Unterwerfung durch die Paramilitärs ist etwas, von dem unsere Gegend nicht verschont bleibt. Die Folge ist ständiges Leid, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist, und zwar im Interesse vieler Mächtiger, die sich illegaler Akteure wie der Paras bedienen, um ihre Ziele zu erreichen.

Die Regierung in Bogotá hat in den letzten Monaten nur versucht, ihr mangelndes Engagement für die breite Bevölkerung zu kaschieren – daher die Farce um die Festnahme des obersten paramilitärischen Anführers Dairo Úsuga alias „Otoniel“, die die Regierung als Beweis dafür ausgab, dass der Paramilitarismus am Ende ist.  Die Realität sieht jedoch anders aus, denn das flache Land lebt immer noch unter Terror, und es ist klar, dass die Verhaftung von „Otoniel“ diese Verhältnisse nicht verändert hat. Im Gegenteil, der Paramilitarismus hat seine Macht überall noch verstärkt.

Die Ortschaften von San José sind für die Paras ein Korridor, in dem sie in aller Ruhe und unter dem Schutz aller staatlichen Institutionen und Kräfte operieren konnten. Und die staatlichen Institutionen beschränken sich darauf, die Übergriffe der Paras einfach zu registrieren.

In letzter Zeit haben die Paramilitärs mehrere Jugendliche in der Gegend rekrutiert und sie in andere Dörfer des Bezirks gebracht. In vielen Fällen werden die Zwangsrekrutierten in andere Gebiete des Landes gebracht, wo bereits mehrere von ihnen getötet wurden, auch von den Sicherheitskräften. Diese jungen Menschen werden buchstäblich als Kanonenfutter für kriminelle Strategien missbraucht.

Heute wollen wir über die folgenden Fakten Bericht erstatten:

Am Freitag, den 29. Oktober 2021, wurde ein schwer bewaffnetes paramilitärisches Aufgebot in der Ortschaft Playa Larga gesichtet.

Am Samstag, den 30. Oktober 2021, wurden wir darüber informiert, dass zwei junge Männer aus dem Dorf La Unión von den Paramilitärs zwangsrekrutiert und offenbar in das Dorf Playa Larga in San José de Apartadó gebracht wurden, wo sie später gesehen wurden.

Am Sonntag, dem 31. Oktober 2021, wurde im Laufe des Tages bekannt, dass die Paramilitärs in der Region angeblich eine neue regionale Ordnung durchsetzen. Der Ankündigung zufolge enthält sie Drohungen gegen unsere Friedensgemeinde.

Zwischen dem 5. und 10. November 2021 erfuhren wir nach Informationen, die unsere Gemeinschaft erreichten, von einer Reihe von Erpressungen auf der Straße, die vom Stadtgebiet von Apartadó zum Dorf San José führt. Dort fordern bewaffnete Personen, offenbar Paramilitärs, von den Transporteuren von Lebensmitteln, Holz und anderen Produkten, die in Lastwagen transportiert werden, Beträge von mehr als 100.000 Pesos (Anm. d. Ü.: knapp 23 Euro).

Am Samstag, den 13. November 2021, wurden Drohungen gegen unsere Friedensgemeinde von  „Chiquito Malo“, dem angeblichen Chef der Paramilitärs in Urabá, ausgesprochen, der „Otoniel“ ersetzt. Berichten zufolge plant er Aktionen gegen unsere Friedensgemeinde.

Am Sonntag, den 14. November 2021, wurde uns mitgeteilt, dass das Kontingent der Armee, das seit mehr als einem Monat in der Ortschaft La Unión stationiert ist und angeblich mit einer humanitären Minenräumgruppe zusammenarbeitet, nicht einmal den Ort verlässt, an dem es stationiert ist – was beweist, dass es nicht zum Minenräumen da ist. Die ganze Zeit über sind die Soldaten auf dem Privatgrundstück der Bauern geblieben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Die Menschen fragen sich: Wo sind die Ergebnisse der Minenräumung? Die gibt es offenbar nicht. Die Menschen in diesem Gebiet haben eher verstanden, dass die Strategie der 17. Heeresbrigade darin besteht, das Land zu besetzen. Ihre Angehörigen haben Privateigentum verletzt und Häuser gebaut, um unter der Zivilbevölkerung zu leben. Jetzt weiß die Bevölkerung nicht, wie sie sie dazu bringen soll, zu gehen, denn sie versteht, dass die „Minenräumung“ ein Schwindel war. Minenräumung sollte grundsätzlich von neutralen Experten durchgeführt werden und nicht von Kriegsakteuren, die ihre Interessen im Krieg hatten. Vielleicht hat die Unwissenheit mancher Menschen in den Dörfern die Militärs dorthin gebracht, wo sie für nichts nütze sind. Denn die Paramilitärs verbringen ihre Zeit dort ungestört mit Alkoholkonsum und in engem Zusammenleben mit den Militärs.

Am Freitag, dem 19. November 2021, fand  eine Sitzung der Junta de Acción Comunal (Anm. d. Ü.: Die Juntas de Acción Comunal, wörtlich Gemeinde-Aktionsausschüsse, sind von der Verfassung vorgesehene Mitbestimmungsgremien auf kommunaler Ebene, die in der Praxis jedoch oft von den örtlichen Machthabern  manipuliert sind) des Dorfes Mulatos Medio auf dem Schulgelände der Gemeinde statt. Den Informationen zufolge wurde dieses Treffen von einem paramilitärischen Politiker einberufen, der dort in Begleitung anderer Männer mit Funkgeräten eintraf. Offenbar war eines der zu besprechenden Themen unser Friedensdorf Aldea de Paz Luis Eduardo Guerra, ein Raum, in den die Paramilitärs seit mehreren Jahren eindringen wollten. Trotz zahlreicher Drohungen hat  unsere Friedensgemeinde jedoch immer die Legitimität unserer Siedlung an diesem Ort verteidigt, der mit dem Blut unseres Anführers Luis Eduardo Guerra und anderer Compañeros und Compañeras getränkt ist, die dort den Paras zum Opfer fielen.

Am Dienstag, den 30. November 2021, in den Morgenstunden, drangen zwei Personen auf den zu unserer Friedensgemeinde gehörenden Bauernhof La Roncona ein und behaupteten, Vermessungsingenieure der Firma Tovar zu sein. Während sie sich ohne Genehmigung auf unserem Grund und Boden aufhielten, erklärten sie, dass sie den Auftrag hätten, zwei Hektar des zu dem Gehöft gehörenden Landes zu vermessen.  Zu diesem Zeitpunkt wurden Mitglieder unserer Friedensgemeinde, die auf der Farm arbeiteten, auf die Landvermesser aufmerksam. Wir sagten den beiden, dass ein Prozess zur Eigentumsübertragung des Grundstücks im Gange sei, woraufhin sie antworteten, dass sie davon nichts wüssten und lediglich mit den Vermessungsarbeiten beauftragt worden seien. Diese beiden Personen wandten sich an ihren Vorgesetzten, der ihnen befahl, das Grundstück zu verlassen, aber nicht ohne ihnen mitzuteilen, dass sein Chef Herrn Martín Jaramillo kontaktieren wird – unseren Gegner in der Auseinandersetzung um das Land.

Zu diesen Vorfällen kommt noch die neue Kontrollregel hinzu, die die Paramilitärs jetzt umsetzen wollen: Sie verpflichten jede Person, sich bei den Juntas de Acción Comunal einzutragen, und sie drohen, dass sie bei Zuwiderhandlung Maßnahmen ergreifen werden. Sie haben auch bestimmt, dass jeder, der in das Gebiet kommen will, mit der entsprechenden Genehmigung oder in Begleitung von Bekannten kommen muss.

Als Friedensgemeinschaft werden wir all diese paramilitärischen Aktionen in unserer Region stets ablehnen und öffentlich machen. Wir wissen, dass das Gefahren mit sich bringt. Aber zu schweigen wäre noch schlimmer, vor allem in Anbetracht des erschreckenden Blutvergießens, das dies unter der Zivilbevölkerung in der Region verursacht.

Wir können nur all den Stimmen der Ermutigung danken, die wir täglich aus dem Land und der Welt als Gesten der Solidarität und der moralischen Stärke erhalten, auf die wir in all dieser Zeit gezählt haben.

Friedensgemeinde von San José de Apartadó, im Dezember 2021

Menschenleben auf der Müllhalde … bis zum Ende

Wieder einmal sieht sich unsere Friedensgemeinschaft von San José de Apartadó in der dringenden Notwendigkeit, vor dem Land und der Welt über neue Gräueltaten gegen uns und die Bevölkerung in unserer Nachbarschaft zu berichten.
Der soziale Protest hat sich in vielen Teilen Kolumbiens bemerkbar gemacht und er schlug sich auch im Wahlergebnis nieder, auch wenn Wahlen in Kolumbien stets von den Eliten manipuliert wurden. Dennoch ist die Stimme des Volkes bis zu einem gewissen Grad gehört worden (Anm. d. Ü.: Im Juni wurde Gustavo Petro, ein Wirtschaftswissenschaftler und früherer Guerrillero der 1990 aufgelösten M-19, zum ersten linken Präsidenten in der Geschichte Kolumbiens gewählt). Trotz dieser Entwicklungen ist die Region Urabá (in der San José liegt, Anm. d. Ü.) weiterhin der paramilitärischen Herrschaft unterworfen, die die Entscheidungsgewalt behält. Die Dörfer unseres Corregimiento (vergleichbar den deutschen Landkreisen, Anm. d. Ü.)  sind weiterhin in dieser katastrophalen Situation, und zwar mit der Duldung und dem Einverständnis aller staatlichen Institutionen.

Die Fakten, die wir dem Land und der Welt zur Kenntnis bringen, sind folgende:

Am Samstag, 4. Juni 2022, erfuhr unsere Friedensgemeinschaft von der Ermordung des Paramilitärs Wilfer Higuita. Er war mit einer der Familien unserer Gemeinschaft verwandt und hat seit vielen Jahren mit der Armee zusammengearbeitet. Er hat sich für die schmutzigsten und verabscheuungswürdigsten Aufgaben hergegeben, die im Zusammenhang mit dem nie verhohlenen Ziel des Militärs standen, unsere Friedensgemeinschaft durch Aktionen des Völkermords auszurotten.
Wir können zum Beispiel nicht vergessen, dass Wilfer am 17. Januar 2009 von Oberst Germán Rojas Díaz, dem späteren Kommandeur der 17. Heeresbrigade, benutzt wurde, um Renato Areiza, damals Mitglied unserer Gemeinschaft, zu erpressen. Wilfer forderte ihn auf, ihm bei der Zerschlagung der Friedensgemeinschaft zu helfen, und drohte, wenn er nicht kooperiere, dann würde er entweder als Guerillakämpfer oder als Drogenhändler verfolgt werden, wofür der Oberst die notwendigen falschen Zeugen zur Verfügung hatte. In den folgenden Jahren koordinierte Wilfer die Übernahme vieler Gebiete der Gemeinde durch die Paramilitärs, darunter auch das Dorf La Unión, das offenbar sein letztes Kommandogebiet war. Wie bei vielen anderen jungen Männern, die ihre Seele für verabscheuungswürdige Aufgaben verkauft haben, vor allem, wenn ihr Lebenslauf für Justizbeamte, die ausnahmsweise das Recht anwenden wollen, unhaltbar geworden ist, wurde Wilfer sicherlich „entlassen“, damit er der Armee nicht weiterhin juristische Probleme bereitet. Leider werden die Menschen als Putzlappen benutzt, und wenn sie zu sehr verschmutzt sind, werden sie weggeworfen. Wir verurteilen aufs Schärfste diese kriminelle Praxis des kolumbianischen Staates, mit der er seine Auffassung von Menschenwürde unter Beweis stellt.

In der Woche vom 3. bis 9. Juli 2022 war die Anwesenheit eines schwer bewaffneten paramilitärischen Kontingents in dem Dorf Buenos Aires im Bezirk San José de Apartadó zu beobachten.

Am Sonntag, den 10. Juli 2022, kam es gegen 20 Uhr zu einem Schusswechsel in der Nähe des Weilers La Unión, der zum selben Dorf gehört. Der Vorfall ereignete sich in der Nähe eines Grundstücks, das unserer Friedensgemeinschaft gehört. Dort ist ein militärisches Kontingent stationiert. Die angebliche Belästigung dauerte mehr als 15 Minuten. Mehrere Dorfbewohner äußerten sich besorgt über die Auswirkungen, die solche Schikanen haben könnten, zumal die Zivilbevölkerung im Zentrum der Auseinandersetzungen steht und die schlimmsten Folgen des Krieges zu tragen hat.

Am Dienstag, den 12. Juli 2022, begab sich tagsüber eine Kommission unserer Friedensgemeinschaft an den Ort der Ereignisse vom Sonntag, den 10. Juli, und es wurde festgestellt, dass dort auf unserem Privatgrundstück das Militär der XVII. Brigade der Armee stationiert war, wir forderten sie auf, sich von unserem Grundstück zurückzuziehen und verlangten Respekt für die Gemeinschaftsräume, die als Privateigentum unserer Friedensgemeinschaft ausgewiesen sind, doch dieses Militärkontingent wollte sich nicht von unserem Privatgrundstück zurückziehen, gleichzeitig wurde festgestellt, dass sie bereits landwirtschaftliche Erzeugnisse, darunter Kakao, beschädigt hatten. Dieses Militärkontingent ist immer noch da.

Am Freitag, den 15. Juli 2022, wurden in den Morgenstunden mehrere Paramilitärs in der Nähe der Schule des Dorfes La Resbalosa gesehen.

Am Sonntag, den 17. Juli 2022, wurde unsere Friedensgemeinschaft über die Anwesenheit eines angeblichen Beamten der Fiscalía im Dorf La Unión informiert, dessen Arbeit darin bestand, Zeugenaussagen über die Art und Weise des Landerwerbs durch die Gemeinschaft zu sammeln. Er widmete sich auch dem Sammeln von Zeugenaussagen über mehrere Leichen, die auf dem Friedhof des Dorfes begraben sind und beschuldigte die Gemeinschaft, die Leichen von Guerillakämpfern illegal zu begraben. Eine Behauptung, die völlig unbegründet ist und die Empörung hervorruft, wenn man sie mit der systematischen Haltung der Staatsanwaltschaft und der Justiz im Allgemeinen kontrastiert, die sich nie für die mehr als tausend Verbrechen gegen die Menschlichkeit interessieren, die vom Staat und dem Parastaat gegen unsere Friedensgemeinschaft begangen wurden, und sie in absoluter Straflosigkeit belassen.

Am Dienstag, den 19. Juli 2022, waren nachmittags in dem Dorf La Antena, in dem seit mehreren Jahren ein Militärkontingent der XVII. Brigade der Armee stationiert ist, zahlreiche Gewehrschüsse zu hören.

Am Mittwoch, 20. Juli 2022, um 23.00 Uhr, waren im Zentrum von San José mehrere Schüsse zu hören.

Am selben Mittwoch, dem 20. Juni 2022, gaben in der Nacht mehrere Paramilitärs auf einem Motorrad zwischen San José und Apartadó mehrere Schüsse auf unser Privatgrundstück Finca La Roncona ab.

Am Sonntag, den 24. Juli 2022, wurden gegen 3.00 Uhr morgens im Dorf Salsipuesdes in der Gemeinde Apartadó fünf Menschen durch die Sicherheitskräfte getötet. Bei den Opfern handelt es sich offenbar um Mitglieder paramilitärischer Strukturen. Auch wenn es sich um Kriminelle handelt, vertritt unsere Friedensgemeinschaft kompromisslos die Auffassung, dass das Leben heilig ist und dass keine Justizpolitik es missachten darf. Es ist äußerst bedauerlich, dass Kolumbien seine Bürger weiterhin mit einer solchen Kaltblütigkeit ermordet und noch schlimmer, wenn es sie zuvor als
Instrumente seiner schmutzigen kriminellen Politik benutzt hat, die ihr Leben in den Abgründen der schlimmsten Kriminalität extrem erniedrigt hat.

Unser Dank gilt stets all jenen Menschen und Gemeinschaften, die uns aus entlegenen Teilen des Landes und der Welt mit ihrer Solidarität moralisch unterstützen

San José, 27. Juli 2022

Fast schon boshaft scheint sich die Ära Uriba/Duque nun zu verlängern

Und wieder wendet sich unsere Friedensgemeinde an unser Land und an die Welt, um von den letzten Angriffen zu berichten, unter denen wir als Gemeinschaft und in unserem sozialen Umfeld leiden. Die Kontrolle der Paras über die Zivilgesellschaft scheint kein Ende zu nehmen, im Gegenteil im Laufe der Zeit wird es immer schlimmer, sie werden von den staatlichen Sicherheitskräften geschützt. Wir überlassen es der Menschheit und der Geschichte diese Vorkommnisse zu beurteilen.

In den ersten Wochen im August 2022 trafen sich Ingenieure, Vermessungs- und andere Techniker um Planungen für Straßenbau in dem Gebiet von San José de Apartadó vorzunehmen. Sie versicherten, dass alles bereits abgesprochen sei, da ja diese Straßen dringend notwendig seien für den Kohleabbau und den Abbau anderer Mineralien in der Region, besonders in Serranía de Abibe (Dieses Gebiet gilt als die wichtigste klimaregulierende Reserve und die Hauptquelle der Wasserversorgung für die Region Urabá. Anm. d. Ü.)

Am Freitag den 26. August 2022 erhielt German Graciano, der Rechtsbeistand unserer Friedensgemeinde, einen Anruf eines Mitglieds der Junta de Acción Communal des Ortes La Unión. Dieses Mitglied bezeichnete diejenigen aus unserer Gemeinschaft, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen und schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch Militärs und Paras weitergegeben haben als „Kröten“. Über unseren Rechtsbeistand ließ er uns wissen, dass wenn unsere Friedensgemeinde nicht aufhöre zu denunzieren, würde man das Ganze der Staatsanwaltschaft übergeben um klären zu lassen, ob die Führer unserer Gemeinschaft sich in der Vergangenheit mit den FARC Guerillas getroffen haben.

Wir nehmen diese Warnung als einen Versuch wahr, unsere Gemeinschaft mundtot zu machen und zu erpressen, damit wir aufhören, schwere Verletzungen unserer Rechte und der Zivilbevölkerung um uns herum anzuprangern.

All dies stellt einen unverständlichen Unsinn dar, der höchstwahrscheinlich von denen herbeigeführt wird, die jahrelang als Täter gehandelt haben und es nicht ertragen können, dass unsere Gemeinschaft und die Bewohner der Region weiterhin Gerechtigkeit fordern.

Der neue Vorwurf ist ziemlich unsensibel, wenn man an die unzähligen Opfer der FARC Guerilla (heute nicht mehr existent) auf unserer Seite denkt.

Ich erinnere an die selektiven Todesfälle und Massaker an unseren Brüdern und Schwestern durch Guerillakommandeure wie Danis Daniel Sierra alias Samir, ehemaliger Kommandeur der fünften Front der FARC, der eine Kampagne der totalen Vernichtung gegen unseren Lebensprozess geführt hat, zuerst als Guerillakommandeur und dann als Wiedereinsteiger. Während dieser langen Jahre haben wir die gewalttätigen und rücksichtslosen Aktionen aufgezeichnet um sie für die Menschheit und die Geschichte festzuhalten. All diese rücksichtslosen uns gewalttätigen Aktionen, die Menschenleben kosteten, Folter, Verschwindenlassen und, Drohungen gegen unsere Gemeinschaft mit sich brachten Samir und einige ehemalige Mitglieder der FARC sind Unterzeichner der Friedensabkommen. Sie genießen heute rechtliche und wirtschaftliche Vorteile als Teil der paramilitärischen Strukturen. Die Liste der Verbrechen, die sich gegen unsere landwirtschaftliche Entwicklung richtet und gegen andere Opfer in der Region begangen wurden wächst, ohne dass die Wahrheit, Gerechtigkeit und ein Mindestmaß an Anerkennung der Verantwortung seitens der früheren FARC bisher bekannt sind.

In der Woche vom 23. bis 27. August 2022 konnte eine Kommission unserer Gemeinschaft, die von internationalen Organisationen begleitet wurde, bei einer Besichtigung mehrerer Dörfer des Corregimiento von San José: Buenos Aires, Las Nieves, Mulatos Cabecera, Mulatos Medio und La Resbalosa, die starke paramilitärische Präsenz in diesen Gebieten erkennen, die totale Kontrolle mit Waffen und Funkgeräten, getarnt durch dunkle Kleidung. Des Weiteren sahen die Gruppe wie die Paras in La Resbalosa Häuser ziviler Personen ohne Genehmigung der Eigentümer sowie andere strategische Punkte. besetzt hielten,

Am Donnerstag, den 25. August 2022 erlitt unser Nachbar, ALBEIRO GRACIANO im geschäftigen Sektor von La Navarra, im Stadtzentrum von Apartadó, einen schrecklichen Angriff, der ihn in Lebensgefahr brachte. Dieser Angriff erfolgte von bewaffneten Personen, die sich auf Motorrädern näherten. Wir wünschen Herrn Graciano baldige Genesung und bitten die Behörden um Gerechtigkeit, Schutz und Wiedergutmachung.

Am Freitag, den 26. August 2022 gegen 16 Uhr wurden mehrere Mitglieder unserer Friedensgemeinde von dem bekannten Para alias „El Gordito“ davor gewarnt ihren Getreideanbau vor allem für die Herstellung von Brot auszubauen, sie sollten ihn sofort komplett einstellen.

Am Dienstag, den 30. August 2022 erfuhr unsere Gemeinschaft, dass im Dorf La Unión nicht nur einige Militärs, sondern auch minderjährige Kinder mit Erlaubnis der Paras bewusstseinsverändernde Substanzen konsumierten.

Am Donnerstag, den 1. September 2022 erfuhren wir, dass einige Paras in der Ortschaft Arenas Altas den Bauern die Aussaat von Getreide für Brot verboten und für ein Zuwiderhandeln eine Strafe von 5 Millionen Pesos (ca €5000 Anm. d. Ü.) ankündigten, bzw. sich dem  getötet zu werden aussetzen.

Sowohl am Samstag, den 3. September 2022 als auch am Sonntag, den 4. September 2022 erhielten Bauern Morddrohungen der Paramilitärs.Es ist schon elend, wenn das Leben von der Gnade der Täter abhängt.

Am Mittwoch, den 7. September 2022 wurde der enthauptete Leichnam des jungen Juan Camilo Higuita Ùsaga, der am 15 August ermordet wurde (Siehe Übersetzung vom 25.8.2022 Anm. d. Ü.) seiner Familie übergeben mit dem Hinweis er sei ertrunken.

In den folgenden Tagen waren immer wieder bewaffnete Männer im Gebiet – auch dem der Friedensgemeinde – mit Drohgebärden unterwegs, die Unruhe und Unsicherheit verursachten.

Arley Tuberquia, Mitglied des Internen Rates unserer Friedensgemeinschaft wurde von Militärs beobachtet, sein Haus kurz belagert.

Auf die Anwesenheit von Kindern zwischen 10 und 12 Jahren wurde z.B. bei Hubschraubereinsätzen keine Rücksicht genommen. Ein wirklich skrupelloses und niederträchtiges Verhalten der Sicherheitskräfte.

Inmitten von Bedrohung Missbrauch und Lebensgefahr, halten wir an unseren Prinzipien fest und geben in unseren Überzeugungen überhaupt nicht nach, auch wenn es uns das Leben kostet.

Wieder einmal danken wir denjenigen aus vielen Teilen des Landes und der Welt, die unseren Widerstand in Gedanken begleiten.

Comunidad de Paz de San José de Apartado, 20. September 2022